Wir müssen Voraussetzungen für eine schrittweise Öffnung schaffen

CL

Wie der Großteil der Deutschen unterstütze ich die Maßnahmen der Bundesregierung zur Kontaktreduzierung in der Corona-Krise. Aktuell halte ich sie für verhältnismäßig, daher haben wir als Fraktion der Freien Demokraten ihnen auch im Bundestag zugestimmt. In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz, wo die FDP an der Regierung beteiligt ist, haben wir diese Maßnahmen mitkonzipiert. 

Dennoch muss klar sein, dass dies eine absolute Ausnahmesituation darstellt. Sie darf auf keinen Fall zur Normalität werden. Daher müssen wir die zum Teil drastischen Freiheitsbeschränkungen täglich hinterfragen. Das ist unsere Aufgabe als liberale Oppositionspartei. Insbesondere frage ich mich: „Wird wirklich alles unternommen, um das Leben so schnell wie möglich zu normalisieren? Sind alternative Strategien verfügbar?“. Und das sind nicht einmal wirtschaftliche Fragen, sondern Fragen der bürgerlichen Freiheitsrechte des Grundgesetzes. Ich wurde diesbezüglich oft missverstanden: Ich fordere kein festes Ausstiegsdatum für die Aufhebung der Freiheitsbeschränkungen. Ein festes Datum für ein mögliches Ende der Kontaktbeschränkungen zu nennen, wäre unseriös. Was ich fordere, ist eine Strategie für die Rückkehr zu unserem gewohnten Alltag.

Ich erhalte zurzeit viele Zuschriften von Menschen, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Viele haben genauso viel Angst vor der Pleite wie vor dem Virus. Der Schutz von Menschenleben hat Priorität, aber es gibt einen Punkt, ab dem wirtschaftliche Existenzangst oder Arbeitslosigkeit sich auch auf die Gesundheit auswirken. Diesen Menschen möchte ich eine Perspektive aufzeigen. Damit sie das Vertrauen haben, dass sie in ihrem Leben und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht länger eingeschränkt werden als es wirklich nötig ist.

Wege aus der Corona-Krise 

Zunächst brauchen wir flächendeckende, schnelle und massenhafte Tests auf das neuartige Coronavirus und Antikörper, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. Viele Bürger wissen nicht, ob sie das Virus in sich tragen oder schon genesen sind. Weiterhin benötigen wir ausreichend intensivmedizinische Versorgung und Personal in den Gesundheitsbehörden. Zudem sollten wir im öffentlichen Raum viel stärker als bisher Schutzmasken tragen. In Jena hat Thomas Nitzsche , der FDP-Oberbürgermeister, das schon zur Pflicht erklärt. An allen öffentlichen Orten sollte es zudem Gelegenheit zur Desinfektion der Hände geben. 

Sinnvoll ist auch eine freiwillig zu nutzende App, die anonymisiert darüber Aufschluss gibt, mit wem wir in letzter Zeit in Kontakt waren. Meldet sich also jemand als Corona-Positiv, werden diejenigen gewarnt, die in seiner oder ihrer Nähe waren. Das wäre ein Instrument, mit dem wir, ohne in Bürgerrechte einzugreifen, Infektionsketten identifizieren könnten. 

Was die Wirtschaft betrifft, muss es einen dringenden Appell geben, Beatmungsgeräte und Schutzkleidung herzustellen. Um hier Wucherpreise zu vermeiden, brauchen wir mehr Angebot. Hierzu müssen Geräte und Materialien schneller zugelassen werden, die in Unternehmen produziert werden, die vorher etwas Anderes hergestellt haben. Es darf kein Zwang auf diejenigen ausgeübt werden, die moralisch richtig und wirtschaftlich vernünftig handeln wollen. Stattdessen müssen die Verfahren beschleunigt werden.

Sollten diese Krisenmaßnahmen Wirkung zeigen, kann man prüfen, ob die derzeitigen Einschränkungen regional oder für einzelne Gruppen gelockert werden können. Dies könnte eine Möglichkeit darstellen, um schrittweise gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben wieder zuzulassen. Es geht nicht darum, nun alles sofort wieder hochzufahren – aber wann zum Beispiel der Einzelhandel unter bestimmten hygienischen Maßgaben wieder öffnen kann, muss diskutiert werden. Auch Menschen, die mittlerweile immun sind gegen das Virus, sollte man gestatten, am Wirtschaftsprozess wieder teilzunehmen.

Wir brauchen eine Perspektive auch deshalb, weil von 0 auf 100 länger dauern wird als von 100 auf 0 zuvor. Die Betriebe werden ihre Arbeitsweise umstellen müssen: Mehr Abstand zwischen Beschäftigten, mehr Desinfektionsmöglichkeiten, Schichtsysteme, Schutzkleidung usw. müssen geplant bzw. beschafft werden. Das braucht Zeit. Eine Stufenplan zum Hochfahren des Landes muss nicht mehr Ansteckungen provozieren, wenn wir die Voraussetzungen für den Gesundheitsschutz verbessert haben. 

Daher appelliere ich an die Bundesregierung, an Auswegen aus den Freiheitsbeschränkungen zu arbeiten. Wenn wir die Akzeptanz der Bevölkerung für die vielen Einschränkungen aufrechterhalten wollen, müssen wir Perspektiven eröffnen. Die Menschen wären sicherlich bereit, die Maßnahmen länger zu erdulden, wenn sie wissen, dass die Regierung alles tut, um möglichst bald wieder zur Normalität zurückzukehren.

Weitere Initiativen der FDP-Fraktion zur Bewältigung der Corona-Krise findet Ihr hier.