Wir schärfen die Kanten der FDP
Herr Lindner, vor zwei Wochen stand im "Spiegel" eine Geschichte mit der schönen Überschrift "Der Trottel als Leitbild". Die These lautet: Das Konzept des mündigen Bürgers wird zunehmend ersetzt von dem des vulnerablen, des verletzlichen Bürgers, der ständig vom Staat geschützt werden muss. Ist es wirklich so schlimm?
Lindner: Es ist bezeichnend, dass Angela Merkel scherzhaft "Mutti" genannt wird. Tatsächlich hat man den Eindruck, dass die Politik mündige Bürgerinnen und Bürger zunehmend wie Kinder behandelt. Im Bundeskanzleramt sind Stellen für Psychologen und Anthropologen geschaffen worden, künftige Gesetze sollen Anreize zur sanften Verhaltensänderung enthalten. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum harten Paternalismus, mit dem uns Schablonen für unser Verhalten aufgezwängt werden sollen.
Für den brutalen Absturz der FDP gibt es zwei mögliche Erklärungen. Die eine ist, dass die Idee des Liberalismus in der Bevölkerung einfach nicht mehr richtig verfängt. Die andere, dass die FDP in den vergangenen Jahren schlicht einen schlechten Job gemacht hat.
Lindner: Ich sehe unverändert eine große Attraktivität für bürgerliche Politik, wenn ich darunter Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft, Weltoffenheit und Solidität begreife. Die FDP wurde ja nicht aus dem Bundestag gewählt, weil wir zu konsequent für Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Eigenverantwortung eingestanden sind, sondern zu wenig. Das ändern wir jetzt!
Und wenn die FDP wieder so ist, wie sie sein sollte, hat auch liberale Politik in Deutschland wieder eine Chance?
Lindner: Links der politischen Mitte tummeln sich mit CDU/CSU, SPD und Grünen nur noch sozialdemokratische Parteien. Von rechts baut sich mit der AfD eine Formation auf, die in wechselnden Dosen Protest und Nostalgie mischt. Die bürgerliche Mitte ist frei. Es fehlt im Parlament ein Ansprechpartner für diejenigen, die moderne Gesellschaftspolitik mit marktwirtschaftlichen Grundüberzeugungen verbinden wollen. Das ist der Platz, den ich mit der FDP wieder füllen will.
HORIZONT schreibt regelmäßig über Werbeverbote – für den Vorsitzenden einer Partei ist das vermutlich eher ein Nischenthema?
Lindner: Nein, Werbeverbote sind für mich in doppelter Hinsicht ein bedeutsames Thema. Zum einen kommt hier symbolhaft zum Ausdruck, wie die Politik über die Menschen denkt – nämlich in der Kategorie "betreuungsbedürftiger Mündel". Die Große Koalition hat selber gesagt, sie mache eine Politik für kleine Leute. Ich kenne in Deutschland keine kleinen Leute, ich kenne nur Bürgerinnen und Bürger. Die haben vielleicht ein schmales oder ein besser gefülltes Portemonnaie, aber man sollte den Menschen nicht die Würde absprechen, indem man sie zu kleinen Leuten degradiert und glaubt, durch Werbeverbote ihr Verhalten lenken zu müssen. Die Menschen wissen schon selbst sehr genau, was gut für sie ist und welche Risiken sie bereit sind einzugehen. Zum anderen ist es ein Symbolthema, weil ich einen systematischen Angriff auf unsere Presse- und Medienfreiheit erlebe. Das beginnt mit dem Mindestlohn, der die unter Druck geratenen Geschäftsmodelle im Printbereich weiter belastet, und geht bis zu dem Pressefusionsrecht, das nicht auf die Höhe der Zeit gebracht wird. Wenn jetzt noch weitere Werbeverbote hinzukommen, könnte das die ohnehin knapp gewordenen Mediaspendings noch weiter reduzieren.
Es gibt noch einen vierten Faktor: Ein immer größerer Teil der Werbeausgaben fließt in die Kassen von Google und Facebook.
Lindner: Ja, das stimmt. Aber das ist kein Gegenstand politischer Regulierung, sondern Ergebnis der digitalen Revolution.
Wie man's nimmt. Beim Thema Google gibt es in Deutschland zwei Fraktionen. Die eine sagt: Wenn man an das Prinzip der produktiven Zerstörung glaubt, darf man Google nicht regulieren. Das Gegenargument lautet: Im Internet entstehen gerade mächtige Monopole, die aus marktwirtschaftlicher Sicht schädlich sind. Was ist die Position der FDP?
Lindner: In beiden Argumenten steckt Wahres drin. Ich sehe aber mit Sorge, dass die Marktanteile mancher Anbieter im Internet über lange Zeit ein so hohes Maß haben, dass sie eben nicht mehr den Kräften der schöpferischen Zerstörung unterworfen sind, weil sie selbst die Regeln des Spiels diktieren können. Monopole und Oligopole hebeln die Mechanismen der Marktwirtschaft eben aus. Es ist ja auch ein beachtliches Zeichen, wenn ein erfolgreicher und modern aufgestellter Verlag wie Axel Springer in Gestalt seines Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner sagt, man habe Angst vor Google. Wir müssen mehr Wettbewerb und Dynamik durch Wettbewerbsgleichheit schaffen. Übrigens auch dadurch, dass Konzerne wie Google in Deutschland auf ihre Gewinne Steuern zahlen. Das darf nicht den inländischen mittelständischen Betrieben überlassen werden.
Die Google-Frage ist ja im Kern eine ordnungspolitische. Es ist bemerkenswert, dass bei dieser Debatte mit Sigmar Gabriel und Martin Schulz zwei Sozialdemokraten den Ton angeben.
Lindner: Sigmar Gabriel versucht gerne, Erhards Erbe zu geben, handelt aber wie der deutsche Hollande. Ich habe von ihm nur wenig Marktwirtschaftliches gehört, dafür aber viel planwirtschaftliche Praxis in seiner Energiepolitik entdeckt. An der Debatte über Regeln für den Daten-Kapitalismus habe ich mich für die FDP auf Einladung von Frank Schirrmacher regelmäßig in der "FAZ" beteiligt. Der Unterschied zwischen Liberalen und Sozialdemokraten ist aber, dass wir in der Digitalisierung trotz aller Herausforderungen zuerst riesige Chancen erkennen: Von überlegenen Therapien in der Medizin angefangen bis hin zu besserer Logistik und besserer Bewirtschaftung von Daten zur Generierung neuer hocheffizienter Dienstleistungen. Diese Chancen will ich nicht leichtfertig ausschlagen. Allerdings braucht es Regeln. Der einzelne Bürger muss Souverän seiner Daten bleiben. Wenn Information die neue Währung ist, will ich meine Eigentumsrechte daran auch reklamieren dürfen.
Lassen Sie uns noch einmal über Werbeverbote sprechen. Die FDP braucht Themen, mit denen sie sich in den öffentlichen Debatten profilieren kann. Eignen sich Werbeverbote als Mobilisierungs-Instrument?
Lindner: Die FDP ist die einzige liberale Partei. Unser Anspruch ist es, auf die Fragen unserer Zeit liberale Antworten zu geben. Ich wähle die Themen nicht taktisch aus, sondern habe ein umfassend liberales Weltbild. Genauso wie ich gegen das Rentenpaket der großen Koalition bin, weil es ökonomisch unvernünftig ist, wie ich gegen die Abschaffung von Noten in der Schule bin, weil das eine falsche Leistungsnivellierung ist, bin ich auch gegen eine übertriebene Form von Werbeverboten, weil sie die Notwendigkeit, Produkte zu differenzieren, und die Möglichkeit des Verbrauchers, souverän zu entscheiden, einschränken. Aber ich nehme nicht dieses oder jenes Thema aus taktischen Gründen besonders ernst oder weniger ernst. Übertriebene Werbeverbote passen in dieses Gesellschaftsbild genauso wenig wie Eingriffe in die Vertragsfreiheit oder das Spionieren des Staates im Schlafzimmer.
Das Problem der FDP ist doch: Wie schafft man es, trotz katastrophaler Umfragewerte und ohne Sitz im Bundestag nicht völlig von der Bildfläche zu verschwinden? Sich Themen nicht nach PR-Gesichtspunkten auszusuchen, mag ja honorig klingen. Dennoch brauchen Sie eine Strategie, wie Sie der FDP zu der nötigen Sichtbarkeit in den Medien verhelfen wollen.
Lindner: Ja. Und diese Strategie gibt es auch, präzise durchgeplant bis September 2017.
Und diese Strategie sieht im Detail wie aus?
Lindner: (lacht) Es wäre amateurhaft, die jetzt bei Ihnen auszubreiten. Aber ernsthaft: Der Kern unseres Produkts FDP ist gut. Aber die Kanten müssen neu geschärft werden. In der Zeit des Regierungshandelns sind viele Ecken und Kanten der FDP abgeschliffen worden, mancher falsche Kompromiss wurde gemacht, beispielsweise in der Energiepolitik. An mancher Stelle hatte die FDP auch Angst vor der eigenen Courage. Und das überwinden wir jetzt unter meiner Führung.
Eine der Thesen des im Juni verstorbenen "FAZ"-Herausgebers Frank Schirrmacher war, dass es um die Meinungspluralität in den deutschen Medien schon mal besser bestellt war. Der Sparzwang und der Abbau von Redakteursstellen führen zu einer Nivellierung in der Berichterstattung.
Lindner: Ich weiß nicht, ob das mit Redakteuren zusammenhängt oder ob es nicht auch hier einen sublimen Konformitäts- und Anpassungsdruck gibt. Ich jedenfalls bin Anhänger der zugespitzten Meinung – auch dann, wenn sie mir nicht gefällt. Wenn Medienwissenschaftler wie Mathias Kepplinger feststellen, dass die Meinungspluralität der Leitartikler von Regionalzeitungen sich am dritten Tag an der "Süddeutschen Zeitung" ausrichtet und quasi alles auf Heribert Prantl geeicht ist, dann spricht das für die Reichweite von Herrn Prantl, aber gegen selbstständig und freigeistig denkende Journalisten in den Regionalzeitungen.