Wir müssen die richtige Lehre aus der Geschichte ziehen.
Lesedauer: 6 Minuten
Herr Lindner, in den USA tritt jetzt Kamala Harris gegen Donald Trump im Präsidentschafts-Rennen an. Sind Sie erleichtert, dass die Debatte um Biden ein Ende hat?
Lindner: Die Wahl ist Sache der Amerikaner. Manche geben sich der Hoffnung hin, mit Kamala Harris würde alles einfacher werden als mit Donald Trump. Dazu gehöre ich nicht. Die Defizite von Trump kennt man. Bei den Demokraten gibt es aber ebenfalls Protektionismus, eine instabile Fiskalpolitik und im linken Flügel eine woke Politik, die spaltend wirkt.
Welche Folgen hätte ein Wahlsieg Trumps für Deutschland?
Lindner: Trump würde mehr als Harris unsere Diplomatie herausfordern. Moralische Belehrungen würden ihn nicht erreichen. Es ginge um Realpolitik und die Arbeit an Gemeinsamkeiten. Eine Entfremdung könnten wir uns nicht leisten. Denn wir haben ein überragendes Interesse an transatlantischer Partnerschaft. Nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen, sondern in der Rivalität mit China auch aus wirtschaftspolitischen.
Hat sich Europa ausreichend auf einen Präsidentschaft Trump vorbereitet?
Lindner: Das Rhetorik stimmt, die Substanz noch nicht. In den USA wird wahrgenommen, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit vernachlässigt hat. Unsere wirtschaftliche Stärke ist aber der wesentliche Faktor unserer geopolitischen Stärke. Aus dem Traum, dass der Green Deal automatisch zu einem Wirtschaftswunder führt, sind alle aufgewacht. Nach Jahren der Bürokratie und der Verbotspolitik müssen wir uns befreien. Die seit Jahren geforderte Technologieoffenheit beim Verbrennungsmotor könnte ein Wendepunkt werden.
Die USA haben viele ihrer Probleme über Schulden gelöst. Der IWF warnt vor einem erdrückenden Schuldenstand. Macht Ihnen das auch Sorgen?
Lindner: Nicht erst seit heute. Es gibt ja die Denkschule, dass wir uns an der Subventionspolitik des Inflation Reduction Act orientieren sollten. Davor warne ich konstant. Immer klarer sieht man nämlich dessen Kosten. Diese Fiskalpolitik wird nicht durchzuhalten sein, weil die US-Regierung sonst bald ein Viertel des Haushalts für Zinsen aufwenden müsste. Stattdessen arbeite ich dafür, dass wir unsere Staatsfinanzen weiter stabilitätsorientiert entwickeln und für Innovation mehr privates Kapital mobilisieren.
Die USA wollen ab 2026 Langstreckenraketen in Deutschland stationieren. Der Beschluss erinnert an den Nato-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre. Fürchten Sie ähnlichen Widerstand in der Gesellschaft wie damals gegen den Beschluss?
Lindner: Wir müssen die richtige Lehre aus der Geschichte ziehen. Der Nato-Doppelbeschluss hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der Eiserne Vorhang gefallen ist. Die beste Investition in den Frieden ist die Stärkung der eigenen Kriegstüchtigkeit.
Hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nicht die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen? Er hat sich sehr skeptisch zu der Stationierung geäußert.
Lindner: Meine größte Sorge hinsichtlich der Stabilität der Bundesregierung bis zur Bundestagswahl ist inzwischen die SPD-Bundestagsfraktion.
Wegen solcher Aussagen wie die von Mützenich?
Lindner: Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat innerhalb weniger Tage in der Sicherheits- und in der Haushaltspolitik sowie bei den geschärften Anforderungen an das Bürgergeld die Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung in Frage gestellt.
Fürchten Sie, durch diese Stationierung schleicht sich in Europa wieder der Gedanke ein, die USA werden es schon wieder richten?
Lindner: Nein. Ein realistisches Szenario ist eine Lastenteilung zwischen den USA und den europäischen NATO-Mitgliedern. Die USA werden sich zunehmend auf strategische Komponenten konzentrieren, weil sie sich auch in anderen Weltregionen engagieren. Wir müssen unsere Fähigkeiten zur Abschreckung im konventionellen Bereich verstärken. Das tun wir.
Verteidigungsminister Boris Pistorius reicht das nicht. Er will deutlich mehr Geld und sagt, die Haushaltseinigung sei „sehr ärgerlich“.
Lindner: Man darf nicht vergessen, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Wir liegen vor Frankreich und Italien. Darüber hinaus hat Herr Pistorius in den Verhandlungen mit dem Bundeskanzler und mir das zusätzlich erhalten, was er als dringenden Bedarf fachlich nachweisen konnte. Auch den Verteidigungsetat müssen wir im Rahmen der Schuldenbremse stärken. Denn die geopolitische Lage ist keine Notlage, sondern die Realität für Jahrzehnte. Finanzielle Durchhaltefähigkeit ist daher Bestandteil unserer Sicherheitspolitik. Manche Idee für Umverteilung oder andere Subventionen muss zurückstehen.
In den Haushaltsberatungen ging es hoch her. Sie sollen in den an einem Punkt angeblich zum Kanzler gesagt haben: Dann entlass‘ mich doch! Stimmt das?
Lindner: Das werde ich weder bestätigen noch dementieren, weil ich aus internen Gesprächen nicht berichte. Klar ist aber, dass ich verfassungsrechtliche Risiken und ökonomische Experimente ausschließe.
Im Haushalt klafft trotz Einigung immer noch ein Milliardenloch, das die Ampel über Darlehen an die Autobahn GmbH oder der Bahn schließen will. Wäre das nicht genau eine solche Umgehung der Schuldenbremse, die Sie vermeiden wollen?
Lindner: Auch beim Handelsblatt sollte angekommen sein, dass diese Maßnahmen lediglich Optionen sind und noch keine Absicht. Es handelt sich um Vorschläge, für die das Kanzleramt öffentlich die Urheberschaft reklamiert. Ich will nun von Sachverständigen wissen, ob diese Ansätze mit der Verfassung vereinbar und wirtschaftlich sinnvoll sind.
Wenn man sich die Vorschläge im Einzelnen anschaut, sind sie aber doch alle mit hohen verfassungsrechtlichen Risiken verbunden.
Lindner: Das Ergebnis der Prüfung warte ich ab.
Wenn die Prüfer aber zu dem Schluss kommen sollten, die Wege seien verfassungsrechtlich risikoreich, beschließen Sie einen Haushalt mit einem Loch in Höhe von 17 Milliarden Euro?
Lindner: Eine geplante Minderausgabe von bis neun Milliarden Euro entspräche der Staatspraxis. Alles darüber hinaus wirft verfassungsrechtliche Fragen auf und würde das Risiko erhöhen, den laufenden Haushalt 2025 mit Sperren bewirtschaften zu müssen.
Dann müssten Sie sich das Geld woanders her besorgen? Woher?
Lindner: Für 2025 bitte ich um Geduld. Aber für die Jahre 2026 und danach muss unser Land eine Richtungsentscheidung treffen. Entweder mehr Schulden und höhere Steuern. Oder ambitioniertere Strukturreformen und wachstumsfreundliche Politik. Ich rate zum zweiten. Wir sind beispielsweise bei der Reform des Bürgergelds und der Bekämpfung irregulärer Migration schon Schritte gegangen, aber weitere müssen folgen.
Aber reichen die Nachschärfungen etwa beim Bürgergeld ernsthaft aus? Wer nebenbei schwarz arbeitet, dem wird das Bürgergeld um 30 Prozent gekürzt. Wow.
Lindner: Es wird leider oft vergessen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei den Sanktionen Grenzen setzt. Wir haben schon einiges erreicht bei Zumutbarkeit, Mitwirkungs- und Meldepflichten. In dieser Wahlperiode ist nur wenig mehr möglich. In die Bundestagswahl wird die FDP daher mit einem Konzept für eine Reform des Sozialstaats gehen. Wir alle brauchen Schutz vor Lebensrisiken, aber zugleich müssen wir die arbeitende Bevölkerung besser vor Trittbrettfahrern schützen. Wir müssen also Empathie besser mit Konsequenz verbinden. Das Leitbild muss der aktivierende Sozialstaat statt des Umverteilungsstaats sein.
Mit anderen Worten: mit SPD und Grünen lässt sich im Prinzip nichts mehr umsetzen, was sie FDP will. Ist das dann die Absage an eine Neuauflage der Ampel?
Lindner: Zur Koalitionsoptionen äußern wir uns erst im kommenden Jahr. Jetzt steht noch Arbeit an.
Sie haben jetzt aber selbst öfter das Wort Wahlkampf in den Mund genommen. Hat die Ampel den Wahlkampf nicht längst eröffnet?
Lindner: Nein. Aber es ist eine Realität, dass sich langsam das Fenster für Gesetzgebung schließt. Einige für mich wichtige Vorhaben sind aber noch offen: mehr Attraktivität für die private Altersvorsorge durch ein gefördertes Aktiendepot etwa. Langsam positionieren sich alle für die Zukunft. Die SPD spricht über eine Vermögensteuer, die Grünen über höhere Schulden.
Sollte die FDP 2025 wieder an einer Regierung beteiligt sein: Schließen sie auch dann eine Reform der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen kategorisch aus?
Lindner: Bei der Bundestagswahl werde ich dafür kämpfen, dass Deutschland weiter der Stabilitätsanker Europas bleibt. Die europäischen Fiskalregeln erlauben schlicht nicht die Schuldenphantasien meiner Kritiker. Wenn wir dagegen verstoßen, hätte das unabsehbare Folgen etwa auf Frankreichs Politik. Wenn wir wieder bei einer Schuldenquote von 60 Prozent sind, werden wir neue Spielräume haben, weil wir Tilgungen umstellen können. Bis dahin rate ich zu Disziplin.