Wir haben große Aufgaben.
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Herr Lindner, die Tierschutzpartei hat in Brandenburg doppelt so viele Stimmen erhalten wie Sie. Wieso sind den Menschen dort die Kämpfer für Thunfische im Mittelmeer wichtiger als die für Freiheitsrechte?
Lindner: Die Wahlen in Ostdeutschland waren stark taktisch geprägt, gerade in Brandenburg. Selbst FDP-Mitglieder haben diesmal die SPD gewählt – um die AfD zu verhindern. Für mich ist eine Schlussfolgerung aus dieser Wahl, dass die staatstragenden Parteien das Thema Migration schnellstmöglich befrieden müssen. So, wie es derzeit läuft, profitiert vielleicht mal eine Partei taktisch. Insgesamt verlieren CDU, SPD, Grüne und FDP aber gemeinsam und stärken die Ränder. Wir müssen Denkverbote überwinden und das tun, was Bürgerinnen und Bürger erwarten.
Was erwarten Bürgerinnen und Bürger denn?
Lindner: Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt sind Kernmerkmale unseres Landes. Das muss so bleiben, weil wir auf den Exportmärkten unsere wirtschaftlichen Erfolge feiern und weil wir im Arbeitsmarkt kluge Köpfe und fleißige Hände aus aller Welt benötigen. Diese Weltoffenheit funktioniert aber nur dann, wenn mit ihr kein Verlust an Sicherheit oder eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten verbunden ist. Für diese Weltoffenheit braucht es Kontrolle, Konsequenz, Ordnung in der Migrationspolitik. Seit 2015 hat es keine in diesem Sinne gesteuerte Einwanderungspolitik gegeben. In der Regierung haben wir Maßnahmen eingeleitet, die eine Zäsur gegenüber der Ära Merkel beschreiben. Weiteres ist aber nötig und möglich.
Die FDP scheint ähnlich bedroht zu sein wie Thunfische. Wieviel Anteil hat die Bundes-Ampel daran?
Lindner: Migration, Ukraine und Bundespolitik haben eine große Rolle gespielt.
Sie sagten nach der Sitzung des FDP-Bundesvorstands am Montag, Sie seien „sprungbereit“. Ist das noch eine Metapher, oder schon eine offene Drohung in Richtung Mitkoalitionäre?
Lindner: Ich bin tatendurstig. Wir haben große Aufgaben.
Machen Sie es mal konkret: Welche Taten müssen folgen, damit Sie bis 2025 in der Ampel bleiben?
Lindner: Mir geht es um die Sache, ein solches Ultimatum bringen Sie ins Spiel und nicht ich. Wir müssen in diesem Herbst Aufgaben lösen. Die Wirtschaft tritt auf der Stelle und braucht Impulse. Wir müssen schnell die verabredete Wachstumsinitiative umsetzen. SPD-Chef Lars Klingbeil hat gerade erst den Vorschlag unterbreitet, sie zu vergrößern. Dazu ist die FDP bereit. Bei Bürokratieabbau, Steuerentlastung und Energiekosten ist mehr möglich. Bei der ebenso dringlichen Migrationsfrage hoffe ich auf den Schulterschluss auch mit der Union. Und zuletzt muss das alles noch in einem Haushalt verankert werden.
Wie müssen wir uns das denn vorstellen: Wann, wie und mit wem entscheiden Sie, ob das Erreichte ausreicht?
Lindner: Sie sind wieder bei Koalitionsspielchen. Mir geht es um Lösungen. Wir haben Verabredungen, die gerne vergrößert, aber nicht verschleppt oder verwässert werden dürfen. Wir erarbeiten einen Haushalt, bei dem wir Mut zu Prioritäten haben müssen, damit wir uns nicht uferlos verschulden. Die Herbststeuerschätzung Ende Oktober wird uns zeigen, wie die Lage ist.
Wie oft hören Sie Friedrich Merz im Bundestag zu und denken: Wie schön wäre jetzt Schwarz-Gelb?
Lindner: Friedrich Merz schätze ich persönlich, aber was er für das Land will, das weiß ich nicht. Momentan kritisiert er viel. Das ist als Oppositionspolitiker sein Recht. Allerdings übersieht er, dass viel noch das Erbe der Ära Merkel ist. Die Vernachlässigung der Bundeswehr, die seit zehn Jahren erodierende Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, der Investitionsstau und die Migrationsfrage verweisen ja auf die CDU-Regierungszeit. Umso mehr bin ich neugierig auf realistische Vorschläge.
Wieviel Anteil haben Sie am schwachen FDP-Abschneiden – etwa durch Dauer-Streitereien mit Kabinettskollegen?
Lindner: Streit schadet. Aber zugleich ist es ein Dilemma. Denn wenn SPD und Grüne linke Politik machen wollen, dann würden wir unseren Wählerauftrag verraten, wenn wir das durchwinken würden. Und umgekehrt ziehen SPD und Grüne auch öffentlich in Zweifel, wenn wir für Freiheit, Steuerentlastungen und die Schuldenbremse eintreten.
In der Pfalz droht ebenfalls ein „Herbst der Entscheidungen“. In dieser Woche stellt die BASF ihre Zukunftsstrategie vor. Am Standort Ludwigshafen sind Arbeitsplätze in Gefahr. Was kann, was muss die Bundesregierung tun, um die darbende Wirtschaft zu retten?
Lindner: Da schaue ich zuerst nach Brüssel. In den vergangenen Jahren sind viele Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen worden, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie massiv verschlechtert haben. Da geht es um einzelne Verfahren oder Stoffe, die beschränkt oder verboten werden, obwohl sie eigentlich verantwortbar wären. Im Fokus meiner Kritik steht Ursula von der Leyen. Unter ihrer Verantwortung haben wir erheblich an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Das betrifft auch die Automobilindustrie. Flottengrenzwerte, Verbrenner-Aus und Handelskonflikte mit China belasten die Unternehmen. Da muss man ansetzen.
In der Vergangenheit haben Sie Altkanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld an Wahlniederlagen ihrer Koalitionspartner, besonders der FDP, gegeben. Wieviel Anteil hat Olaf Scholz an der aktuellen Situation der FDP?
Lindner: Das muss eine Verwechslung sein. Niemals habe ich anderen Schuld gegeben. Wir sind die Partei der Eigenverantwortung. Wir würden niemals jemand anderen für unsere Lage verantwortlich machen. Ich konzentriere mich ohnehin lieber auf Sachfragen und spreche darüber. Wir haben zum Beispiel zum ersten Mal die Kalte Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer komplett ausgeglichen. Jetzt arbeite ich daran, dass es auch 2025 und 2026 zu Steuerentlastungen kommt. Die Gesetzgebung muss in diesem Herbst erfolgen, damit Anfang des Jahres der Grundfreibetrag und der Tarif der Lohn- und Einkommensteuer erhöht wird. Das sind Entlastungen von 23 Milliarden Euro in den kommenden beiden Jahren.
Also Zähne zusammenbeißen – auch Ihrem Herzensprojekt Aktienrente zuliebe?
Lindner: Wir müssen die Säule der privaten Altersvorsorge attraktiver machen. Hier steht ein Quantensprung an. Wir möchten, dass mehr Menschen mit Wahlfreiheit mehr Chancen ergreifen können. Wir wollen ein Depot so behandeln wie die Riesterrente – inklusive steuerlicher Förderung und Zuschlägen für Geringverdiener. Nach Berechnungen von Experten könnten Menschen, wenn sie über 40 Jahre jeden Monat 250 Euro anlegen, am Ende sogar Millionäre sein. Das zeigt das Potential, wenn Förderung und Zinseszins zusammenkommen. Es werden nicht alle Millionäre werden können, aber Millionen Menschen sollen einen echten Kapitalstock für ihren Ruhestand aufbauen.
250 Euro im Monat anlegen, geht für manch einen einfacher, wenn der Mindestlohn auf 15 Euro steigt.
Lindner: Die Lohnfindung ist Sache der Tarifpartner, die des Mindestlohns einer unabhängigen Kommission. Da darf sich Politik nicht einmischen. Ich beklage ohnehin, dass die Thematik Arbeitsmarkt und Gerechtigkeit nur am Mindestlohn festgemacht wird. Wie wäre es denn, wenn wir die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen? Wenn wir dafür sorgen, dass weniger Menschen lange im Mindestlohnbereich arbeiten müssen? Wir können das schaffen, indem wir Menschen, die einen Einstiegsjob auf Mindestlohnniveau haben, durch Weiterqualifikation und Entwicklung Schritt für Schritt auf die nächsten Sprossen der Aufstiegsleiter bringen.
Mit Fordern und Fördern?
Lindner: Absolut. Wir müssen den fordernden Charakter etwa beim Bürgergeld stärken. Es handelt sich mitnichten um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir setzen uns dafür ein, die Einbindung der Menschen in den Arbeitsmarkt zu stärken – zu deren Vorteil. Das ist der Schlüssel, um mehr Geld in unserem Haushalt freizusetzen: weniger Bürgergeldbezieher statt mehr Schulden.