Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Mut.

Christian Lindner Reformen
Neue Osnabrücker Zeitung

Lesedauer: 6 Minuten

 

Herr Lindner, Sie treffen sich jetzt ständig mit Olaf Scholz und Robert Habeck, um den Haushalt 2025 aufzustellen. Wird da auch mal gelacht oder herrscht eisiges Schweigen?

Lindner: Da wird sogar öfter mal gelacht. Gleichzeitig sind sich aber alle der Größe der Aufgabe bewusst. Es geht nicht nur um einen Haushaltsentwurf für das nächste Jahr, sondern auch um eine grundlegende Wende unserer Wirtschaft. In den vergangenen zehn Jahren haben wir 18 Plätze im globalen Standort-Ranking verloren. Wir brauchen jetzt einen Agenda-Moment, um gesellschaftlichen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Sind Sie sich darüber einig, wie der aussehen muss?

Lindner: Wir haben die Landezone noch nicht erreicht. Meine Position ist klar. Wir müssen die Leistungsbereitschaft der arbeitenden Menschen stärken und die Übernahme von unternehmerischem Risiko fördern. Anders kommen wir wirtschaftlich nicht aus dem Quark. Staatsgeld umverteilen und Subventionen schaffen keine Wertschöpfung. Zudem muss unser Staat in seinen Kernaufgaben handlungsfähiger werden, weshalb er sich nicht in allem Möglichen verzetteln darf. In der Beschränkung liegt insofern die Chance, die wirklich wichtigen Vorhaben bei Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur und Sicherheit verstärkt anzugehen.

Wie versuchen Habeck und Scholz, Sie zu überreden, die Schuldenbremse auszusetzen?

Lindner: Aus internen Gesprächen berichte ich nicht. Aber meine Argumente für eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik bekommen zusätzliches Gewicht. Frankreich und Italien haben Verfahren wegen exzessiver Defizite in ihren Staatshaushalten. Deutschland muss umso mehr der Stabilitätsanker in Europa bleiben. Heute uferlos Schulden zu machen, das belastet morgen im Übrigen die Steuerzahler. Für die Schulden der Vergangenheit zahlen wir jetzt schon fast 40 Milliarden Euro jährlich. Dieses Geld würde ich lieber anders einsetzen.

Juckt es Sie nicht manchmal selbst, die Schuldenbremse einfach nochmal auszusetzen und das Land mit viel Geld wieder auf Vordermann zu bringen?

Lindner: Wir investieren bereits sehr viel mehr als früher vor der Corona-Pandemie. Und bitte Vorsicht, denn mehr Geld löst nicht sofort die Probleme. Beispielsweise hat der Staat als Auftraggeber die gleichen Probleme bei Fach- und Arbeitskräften wie sie die Wirtschaft beklagt. Dennoch kann und sollte der Staat seine Investitionen erhöhen. Angesichts von fast einer Billion Euro Staatseinnahmen jährlich brauchen wir dafür nicht mehr Geld, sondern mehr Mut.

Was wäre denn mutig?

Lindner: Beispielsweise beklagt das Land Berlin, dass ihm Geld für Investitionen in Schulen fehlt. Deshalb müsse man mehr Schulden machen. Zugleich haben CDU und SPD dort ein 29-Euro-Ticket eingeführt, das 300 Millionen Euro kostet. Nach meiner Überzeugung sollte man auf so eine Umverteilung verzichten, um das Geld für Investitionen zu nutzen.

Und warum braucht es dafür Mut?

Lindner: Weil man sich des Protests sicher sein kann, wenn man auf die Grenzen des Sozialstaats und der Umverteilung hinweist.

Demokratie und Sicherheit stehen unter Druck, die Wirtschaft ebenso. Für wie hoch halten Sie das Risiko, dass Sie am Ende vor allem die politischen Ränder stärken, wenn Sie jetzt noch 40 Milliarden Euro einsparen?

Lindner: Die Zahl bestätige ich nicht. Und im Gegenteil, es fordern unzufriedene Bürger doch gerade, dass wir die hohen Kosten illegaler Einwanderung begrenzen und dass wir teure Bürokratie abbauen. Die Menschen, die ich treffe, die beklagen in der Regel nicht, dass das Bürgergeld zu niedrig sei. Die fordern, dass sich Arbeit lohnt und nicht dauerhaft Arbeitslosigkeit bezahlt wird. Ich teile diese Auffassungen. Wir müssen umsteuern, um die Kernaufgaben des Staats zu stärken.

Was wären die aus Ihrer Sicht?

Lindner: Bildung, Infrastruktur, Entlastung der Bürger, Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit.

Schließen Sie aus, dass Sie wie beim letzten Haushalt einfach Abgaben erhöhen, um das Loch zu stopfen? Damals wurde die C02-Abgabe erhöht, die Lkw-Maut, die Agrardiesel-Subvention fiel weg…

Lindner: Einspruch, ich habe kein Haushaltsloch durch die Erhöhung von Abgaben gestopft. Wir haben die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das Minimum gesenkt und die arbeitende Bevölkerung bei der Lohnsteuer um 15 Milliarden Euro entlastet. Es gab also eine Umschichtung. Die bleibt möglich, wenn zum Beispiel eine alte Subvention gestrichen wird, um eine Steuersenkung zu finanzieren. Steuererhöhungen schließe ich weiter aus. Im Gegenteil, für die Zeit bis 2026 habe ich Steuerreformen mit über 20 Milliarden Euro an Entlastung vorgeschlagen.

SPD-Chefin Saskia Esken hat Ihren „Sparkurs“ als „historischen Fehler“ bezeichnet. Sind Neuwahlen eine Option, wenn die Einigung auf den Haushalt nicht gelingt?

Lindner: Wir haben seit 2022 Sozialleistungen von 13 Milliarden Euro ausgeweitet. Von Sparen am Sozialen kann keine Rede sein – im Gegenteil. Momentan fehlt unserem Land aber Wirtschaftswachstum. Da kann man nicht einfach weitermachen wie die letzten zehn Jahre. Auch Frau Esken muss erkennen, dass der Wohlstand erst erwirtschaftet werden muss, bevor er verteilt werden kann.

Aber durch den Krieg in der Ukraine haben sich auch Bedingungen geändert…

Lindner: Deshalb hatte ich das Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auf den Weg gebracht, deshalb hatten wir die Preisbremsen bei Strom und Gas. Irgendwann mussten wir aber aus der Notlagen-Wirtschaft raus, weil man sonst den Staat ruiniert.

Bisher konnten Sie sich auf die Unterstützung von Olaf Scholz verlassen. Jetzt gerät er in der SPD unter Druck. Die Parteilinke strebt ein Mitgliederbegehren an, ob die SPD einem Kürzungshaushalt zustimmen soll. Steuert die Ampel also auf ein vorzeitiges Ende zu?

Lindner: Ich kann zu den Erwägungen der SPD nichts sagen.

Grüne und SPD haben die Europawahl in die Sinnkrise gestürzt. Die FDP offensichtlich nicht. Sehen Sie das Wahlergebnis von 5,2 Prozent als Bestätigung für Ihren Kurs in der Ampel?

Lindner: Ich halte das Ergebnis der Europawahl nicht für übertragbar auf die Bundespolitik. Aber sicher ist klar, dass die öffentliche Meinung in Deutschland nicht gerade nach links gerückt wäre. Bemerkenswert ist, dass gerade für die Jüngeren Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft wichtiger werden. Umso mehr ist dringlich, unser Land wieder auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zu bringen.

Man wundert sich, dass Schwarzarbeit für Bürgergeld-Bezieher künftig nicht mehr möglich sein soll. Können Sie diese Selbstverständlichkeit ernsthaft als Fortschritt verkaufen?

Lindner: Umgekehrt war es ein Mangel, den ich vorgefunden habe, dass nicht entschlossen genug gegen Schwarzarbeit bei gleichzeitigem Sozialleistungsbezug vorgegangen wurde. Ich stärke dafür jetzt den Zoll. Ich bin froh, dass auch die SPD bereit ist, stärker gegen den Missbrauch von Sozialleistungen vorzugehen.

Wie wollen Sie gegen Schwarzarbeit vorgehen?

Lindner: Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll künftig neue gesetzliche Befugnisse erhalten. Die Zusammenarbeit mit Bundesagentur für Arbeit und Staatsanwaltschaften will ich auf eine neue Ebene bringen. Es ist schlicht nicht zu tolerieren, wenn Menschen Bürgergeld beziehen und daneben ohne Steuern und Sozialabgaben arbeiten. Durch dieses unsolidarische Verhalten wird unsere Gesellschaft gleich doppelt geschädigt.

Was von den zwölf Punkten Ihrer geplanten Wirtschaftswende ist unverhandelbar?

Lindner: Mir geht es nicht um die eine einzelne Maßnahme, sondern das Niveau der Ambition insgesamt. Wir brauchen mehr Fach- und Arbeitskräfte. Wir haben zu hohe Bürokratiekosten und wir brauchen eine Perspektive für wettbewerbsfähige Energiepreise. Auch die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen wir verändern. Deutschland ist zu teuer geworden. Wir brauchen in allen diesen Bereichen Fortschritte, und zwar gleichzeitig. Sonst ist es keine echte Wirtschaftswende.

Würden Sie nach 2025 gerne Finanzminister bleiben oder sind Sie heilfroh, wenn Sie den Job wieder los sind?

Lindner: Ich werde dafür kämpfen, dass die FDP wieder ein zweistelliges Ergebnis bekommt. Und natürlich will ich dann als Finanzminister weiter die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vertreten. Die ganze Arbeit und den ganzen Ärger nehme ich jetzt ja nicht auf mich, damit danach Schwarz-Grün die Erfolge in den Schoß fallen.