Technologieoffenheit und Innovation für den Klimaschutz
Wenige Wochen vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen steht die FDP in den Umfragen bei fünf bis sechs Prozent. Droht Ihrem Projekt, die Liberalen über die Landtage bundesweit wieder zu verankern, das Scheitern?
Lindner: Ich bin zuversichtlich. Wir haben bei allen drei ostdeutschen Wahlen so gute Aussichten wie selten zuvor, weil wir bei den Menschen mit unserem Appell an die Vernunft einen Nerv treffen. Das betrifft sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Klima- und die Migrationsdebatte. Ich begegne Menschen, die erst einmal Geld verdienen wollen, bevor es ausgeben wird, die beim Klimaschutz technologische Fortschritte wollen statt stumpfe Verbote, und die in der Migration Weltoffenheit und Toleranz verbinden wollen mit klarer Ordnung und Kontrolle.
Dringen Sie denn mit so viel staatstragender Vernunft in Zeiten aufgeheizter Debatten durch?
Lindner: Die FDP als eine Partei, die jede Form von radikaler Lösung ablehnt, ist immer in der Verlegenheit, mehr und länger erklären zu müssen. In so aufgeregten Zeiten sind die lauteren und schrilleren Positionen schneller und stärker vernehmbar. Parteien wie die Grünen und die AfD markieren Randpositionen in Debatten. Die einen sagen: alle sollen reinkommen, die anderen sagen: alle Migranten raus. Wir sind in der Mitte und sagen: Wir sind solidarisch mit wirklich Verfolgten, wir brauchen auch Einwanderung von Qualifizierten, aber illegale Migration in das Sozialsystem darf man nicht dulden.
Greta Thunberg segelt gerade nach New York, und mit dem Thema Klimaschutz feiern die Grünen große Umfrage-Erfolge. Sie sagen, dass die FDP eigentlich die besseren Antworten hat. Wie wollen Sie die Leute davon überzeugen?
Lindner: Wir machen uns für Technologieoffenheit stark, damit wir CO2 einsparen können, ohne mit Verboten und Verzicht zu kommen. Während die Grünen etwa über ein Verbot innerdeutscher Flüge nachdenken, setzen wir auf Zukunftskraftstoffe, die klimaneutrales Fliegen ermöglichen. Das ist keine Alchemie, das gibt es bereits. Aber der Staat bremst diese Technologie, statt sie zu fördern. Die sogenannten E-Fuels, bei denen Kerosin und Diesel aus dem Kohlenstoff der Luft und nicht aus Erdöl gewonnen wird, braucht eine faire Chance im Wettbewerb.
Schreckt man mit solch einer Position nicht jene Menschen ab, die freiwilligen Verzicht zugunsten des Klimas üben?
Lindner: Nein, ich habe großen Respekt vor, wenn Menschen auf diese Weise CO2 einsparen. Aber für die große Mehrheit der Weltbevölkerung stellt sich die Frage nach bewusstem Verzicht nicht wie bei uns. Diese Menschen können nicht sagen: Ich verzichte in meiner Überflussgesellschaft auf ein paar Annehmlichkeiten. Sie leben nicht in Überflussgesellschaften. Unsere globale Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass China, Indien oder Afrika durch Technologie, die auch in Deutschland entwickelt wurde, ihre Entwicklung vorantreiben können, ohne dass das zulasten der natürlichen Ressourcen und des Klimas geht. Und gleichzeitig können wir unseren Blick für Projekte zur CO2-Speicherung öffnen, indem wir globale Aufforstungsprojekte unterstützen. Damit können wir einen größeren Beitrag fürs Klima leisten als wenn wir lediglich unsere CO2-Emissionen auf Null reduzieren würden.
Im Moment diskutiert Deutschland über die teilweise Abschaffung des Soli, eine Dauerforderung Ihrer Partei. Was haben Sie gegen den Vorstoß von Finanzminister Olaf Scholz, dass Reiche den Soli weiter zahlen sollen?
Lindner: Es wird der Eindruck erweckt, beim Soli seien nur noch Manager und Fußballprofis betroffen. Tatsächlich handelt es sich in vielen Fällen um die betriebliche Steuer eines mittelständischen Betriebes. Diese Unternehmen sind von der geplanten Soli-Abschaffung ausgenommen. Inzwischen hat Deutschland eine der höchsten Steuerbelastungen weltweit, während die USA, China oder Frankreich die Steuerlast massiv reduziert haben. Der einzige Hebel, den wir realistischerweise in der Hand haben, ist der Solidaritätszuschlag. Ihn jetzt nicht abzuschaffen, wäre verfassungswidrig.
Mit dieser Meinung stehen Sie nicht allein.
Lindner: Ja, das hat sogar Wirtschaftsminister Peter Altmaier jetzt eingeräumt. Es gibt rechtliche und gute wirtschaftliche Gründe, auf den Soli schnellstmöglich zu verzichten. Ihn allerdings bis 2026 abschmelzen zu wollen, wie Altmaier es plant, ist ein typisches CDU-Konzept: Vor Wahlen verspricht sie, Steuern zu senken. Nach der Wahl verzichtet sie darauf oder erhöht sie. Und bis 2026 gibt es noch mindestens zwei Bundestagswahlen.
Vielleicht geht es mit Neuwahlen schneller, als man denkt. Wenn die Große Koalition zerbricht, stünden Sie dann bereit für einen neuen Anlauf für eine Jamaika-Koalition?
Lindner: Unsere inhaltlichen Positionen sind bekannt. Wenn man davon etwas umsetzen kann, wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder ein modernes Einwanderungsrecht, dann stehen wir immer für Gespräche zur Verfügung. Solchen Vorhaben würden wir auch zustimmen, falls nach einem Ausstieg der SPD eine Minderheitsregierung gebildet würde. Ich rechne aber nicht damit, dass es vor Ende der Legislaturperiode zu einer neuen Regierungsbildung kommt.