Sozialleistungen auf Null.

Christian Lindner Einwanderung
Stuttgarter Nachrichten

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Herr Lindner, das Entsetzen über das Attentat von Solingen ist groß. Stehen Sie als Politiker so hilflos davor wie viele Bürgerinnen und Bürger? Oder haben Sie eine genaue Vorstellung, was die Regierung jetzt ändern könnte, um die Sicherheit im Land zu vergrößern?

Lindner: In die Trauer und das Entsetzen über diesen Terrorakt mischen sich leicht Wut und Ohnmacht. Das geht uns allen so, auch mir. Aber wir dürfen uns diesen Gefühlen nicht hingeben, sondern wir müssen jetzt mit nüchterner Konsequenz handeln. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten mit Recht, dass sie sich im öffentlichen Raum sicher fühlen können. Dass wir die Kontrolle darüber haben, wer in unserem Land lebt. Ich warne seit Jahren vor Naivität in der Einwanderungspolitik.

Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Schritt, um das zu erreichen?

Lindner: Es geht um drei Aufgaben. Erstens müssen die Sicherheitsbehörden den gewaltbereiten Islamismus wirkungsvoll bekämpfen können. Deshalb haben wir im Haushalt für 2025 eine Milliarde Euro zusätzlich für innere Sicherheit eingeplant. Zweitens brauchen wir im Kampf gegen die irreguläre Migration Verschärfungen des Ausländerrechts, damit diejenigen, die ausreisen müssen, das auch tun. Deutschland muss wissen, wer im Land ist, und selbst entscheiden können, wer hier sein darf. Drittens können wir darüber reden, ob Änderungen beim Waffenrecht helfen könnten.

Beim Waffenrecht hat der Kanzler bereits Verschärfungen angekündigt. Bislang war die FDP skeptisch. Machen Sie jetzt mit?

Lindner: Symbolpolitik unterstützen wir unverändert nicht. Das lenkt von den eigentlichen Aufgaben in der Migrationspolitik ab. Das Waffenrecht ist bereits streng. Allerdings sehen wir bei den Befugnissen der Bundespolizei an Bahnhöfen und bei individuellen Trageverboten für Gefährder und Radikale Bedarf.

Innenministerin Nancy Faeser will, dass Messer in der Öffentlichkeit nur noch mit kürzeren Klingen mitgeführt werden dürfen.

Lindner: Hier will ich erfahren, was genau gemeint ist. Das Messer des Attentäters von Solingen war ja verboten. Auch Messerverbotszonen kann man bereits aussprechen.

Thema Ausländerrecht und Abschiebungen. Der Mann, der nach dem Attentat von Solingen verhaftet worden ist, hätte eigentlich abgeschoben werden müssen. Das ist aber nicht passiert. Müssen die Abläufe noch mal grundlegend überprüft werden?

Lindner: Ja. Hier muss die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen aufklären. Der Täter war ein so genannter Dublin-Flüchtling, der sich in Bulgarien aufhalten sollte. Davon gibt es zehntausende Fälle in Deutschland. Hier muss geltendes Recht konsequent durchgesetzt werden. Ich will den Druck erhöhen, dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, aus Deutschland auch tatsächlich ausreisen. Im Übrigen können wir dem deutschen Steuerzahler dadurch viel Geld ersparen, wenn wir den Magnetismus unserer Sozialleistungen abschalten.

Wie soll das gehen?

Lindner: Wer nach europäischem Recht wie der Attentäter von Solingen ausreisepflichtig ist, der sollte nur noch die Rückkehrkosten in den zuständigen Staat erhalten. Alle weiteren Sozialleistungen in Deutschland sollten auf Null reduziert werden. Es darf nicht so bleiben, dass Dublin-Fälle sich in Europa den Standort aussuchen, der ihnen aufgrund der Sozialleistungen besonders attraktiv erscheint.

CDU-Chef Friedrich Merz fordert einen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen. Was sagen Sie? Ist das rechtlich denkbar?

Lindner: Die Forderungen von Herrn Merz sollen von der nötigen Aufarbeitung durch die CDU-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ablenken. Was in meinen Augen rechtlich möglich ist, dass sind Abschiebungen nach Syrien und nach Afghanistan. Von dieser Möglichkeit müssen wir dringend Gebrauch machen. 

Die CDU fordert auch, die Ampel solle das neue Einbürgerungsrecht zurücknehmen, mit dem Menschen schneller Deutsche werden können.

Lindner: Ich übersetze das einmal. Die CDU will, dass wieder Menschen einen deutschen Pass erhalten können, die hier nie gearbeitet und nie Steuern gezahlt haben. Die CDU will, dass wir wieder Antisemiten einen deutschen Pass geben. Genau das war nämlich die alte Rechtslage, die wir geändert haben. Das neue Einbürgerungsrecht ist schärfer als das alte. Wer nicht seinen Lebensunterhalt finanzieren kann und unsere Werte nicht teilt, der erhält keinen deutschen Pass mehr.

Schneller eingebürgert wird aber auch. 

Lindner: Leistung muss sich lohnen. Wer hier arbeitet und Steuern zahlt, sich ein Leben aufbaut, die Regeln achtet und unsere Werte teilt, den sollten wir willkommen heißen. Das ist in unser aller Interesse. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderung in den Arbeitsmarkt und muss ein weltoffenes Land bleiben. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir irreguläre Migration begrenzen. Sie belastet unseren Sozialstaat, macht das Land unsicherer und vermindert die Akzeptanz für die gesteuerte und vernünftige Einwanderung, auf die wir in Zeiten des demografischen Wandels dringend angewiesen sind.

Grünen-Chef Omid Nouripour hat die Ampel eine Übergangskoalition genannt. Hat die Ampel noch die Kraft, um in den 13 Monaten bis zum regulären Termin der Bundestagswahl etwas bewegen zu können?

Lindner: Herr Nouripour hat insofern Recht, dass die nächste Bundestagswahl eine Richtungsentscheidung wird. Die Grünen wollen höhere Steuern, mehr Schulden und eine Politik, die tief in die privaten Lebensentscheidungen der Menschen eingreift. Wenn die FDP Verantwortung trägt, dann werden dagegen Steuern gesenkt, gilt die Schuldenbremse und dann respektiert der Staat die Freiheit der Menschen. Bis zur nächsten Wahl gibt es aber Aufgaben, die wir noch umsetzen müssen. Mit der Wachstumsinitiative setzen wir Anreize für mehr Investitionen und Forschung. Durch den Abbau der kalten Progression entlasten wir die arbeitende Bevölkerung in den nächsten beiden Jahren um 23 Milliarden Euro. Und es gibt noch weitere Schritte beim Bürokratieabbau, die wir rasch umsetzen sollten. Die Lage der Wirtschaft erlaubt kein Nichtstun.

Reicht das gegenseitige Vertrauen in der Ampel noch aus? Im Haushaltsstreit sah es entschieden anders aus.

Lindner: Wir stoßen mit dem sich nähernden Ende der Wahlperiode immer wieder an die Grenzen der politischen Gemeinsamkeiten. Je näher der Wahltag rückt, desto größer ist die auch demokratische Notwendigkeit, Unterschiede zu betonen, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung treffen können.

Beim Haushalt konnten Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Sie sich zuletzt nicht darauf verstanden, wie Sie die Haushaltslücke schließen wollen. Am Ende haben Sie die Lücke mangels echter Einigung einfach etwas größer gelassen. Können Sie verstehen, dass das in der Öffentlichkeit Hohn und Spott hervorruft?

Lindner: Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich die Aufgabe bis zum Ende der Haushaltsberatungen Ende November weiter reduziert. Im Übrigen habe ich Vorschläge gemacht, wie wir noch mehr Mittel in Bildung, Bundeswehr und Investitionen hätten umschichten können. 

Nennen Sie einen.

Lindner: Das Bürgergeld. Wir stärken die Arbeitsanreize durch neue Melde- und Mitwirkungspflichten. Das wird hoffentlich mehr Menschen zur Aufnahme einer Arbeit veranlassen. Es gibt zudem im kommenden Jahr keine Erhöhung des Bürgergelds, während zugleich die Steuern für die arbeitende Bevölkerung gesenkt werden. Aber dennoch bleibt der Regelsatz zu hoch, weil die Inflation geringer ausgefallen ist als erwartet. Deshalb ist der Abstand zwischen Sozialleistung und Lohn zu gering und sind die Kosten für den Bundeshaushalt zu hoch. Über eine Änderung haben wir uns bislang nicht verständigen können.

Hält die Ampel bis zum Herbst 2025?

Lindner: Die FDP hält sich an den Koalitionsvertrag.