Nur der Wohlstand kann verteilt werden, der vorher erwirtschaftet wurde

Christian Lindner
Manager Magazin

Herr Lindner, die Hoffnungen vieler Manager in die schwarz-gelbe Bundesregierung waren sehr groß, als diese 2009 angetreten ist. Heute sind viele enttäuscht, wie manager magazin in seiner aktuellen Ausgabe analysiert. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?

Lindner: Angesichts der ausgezeichneten Lage unseres Landes sollten diese zunächst sagen, was genau sie sich erhofft hatten. Im Übrigen frage ich, was sie von dem in Erinnerung behalten haben, was die Koalition erreicht hat.

Und was stellen Sie dann fest?

Lindner: Man muss manches in Erinnerung rufen.

Was haben Manager und Unternehmer denn vergessen?

Lindner: Der Bund erreicht 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt. Die Stabilisierung des Euro erfolgt durch marktwirtschaftliche Reformen und nicht über Eurobonds. Die Sozialversicherungsbeiträge sind gesunken, etwa das Kindergeld und der Grundfreibetrag wurden erhöht - die Kaufkraft wurde um insgesamt 22 Milliarden Euro seit 2010 gestärkt. Die Einwanderung von Fachkräften wurde erleichtert. Das bürokratische Entgeltnachweisverfahren hat die FDP gestoppt. Von Vereinfachungen bei der Unternehmenssteuer - Stichwort Zinsschranke - und im Erbschaftssteuerrecht profitieren vor allem Familienunternehmen. Ich kann das fortsetzen. Wenn ich das darstelle, stelle ich des Öfteren verblüffte Reaktionen fest.

Also sind Ihre Kritiker Opfer ihrer eigenen überzogenen Erwartungen?

Lindner: Die Erwartungen waren schnelle, tief greifende Reformen.

Aber die haben Sie im Wahlkampf ja auch provoziert.

Lindner: Aus heutiger Sicht würde man diese Erwartungen früher dämpfen. Im Übrigen haben wir uns ja selbst viel vorgenommen ...

... aber?

Lindner: Wir waren überrascht, dass der Koalitionspartner viele Kompromisse mit der SPD regelrecht adoptiert hatte, Beispiel Gesundheitsfonds. Fortschritte müssen Schritt für Schritt erarbeitet werden. In der Steuerpolitik gab es kaum Ehrgeiz bei Wolfgang Schäuble, dafür kommen bis heute Ideen von den CDU-Ministerpräsidentinnen, wo man noch Steuern erhöhen könnte. Es fällt auch Unternehmern und Managern leichter, mit der CDU über Frauenquote und Mindestlohn ins Gespräch zu kommen, als über Energiepreise und Bürokratieabbau.

Die Sozialdemokratisierung" der CDU, auf die Sie anspielen, ist ja auch ein Ausdruck der Verschiebung der gesellschaftlichen Debatte. Gleichheit wird zunehmend mehr betont als Freiheit. Verlieren wir hier die gesunde Balance?

Lindner: Ich bin überrascht von der Verachtung, die unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung von manchen entgegengebracht wird, obwohl sie uns beispiellosen sozialen Frieden und Wohlstand gebracht hat. Die gesellschaftliche Debatte führt aber kein Eigenleben. Sie kann geprägt werden, wenn man sich nicht wegduckt. Für Liberale ist klar, dass nur der Wohlstand verteilt werden kann, der vorher erwirtschaftet wurde. Deshalb verteidigen wir die Soziale Marktwirtschaft. Für uns stehen Selbstbestimmung und Verantwortungsgefühl vor Bevormundung und Planung durch Politiker.

Aber Märkte werden seit der Finanzkrise zunehmend kritischer gesehen. Wie hat sich Ihr Blick auf Märkte verändert?

Lindner: Die Krise hat allen in Erinnerung gerufen, dass der Markt kein abstrakter Ort ist, sondern erst durch staatliche Regeln entsteht. Wenn sie ungenügend sind, ist der Markt nicht stabil und das System wendet sich gegen sich selbst. Dann lädt es einzelne Spieler ein, auf Kosten aller Geschäfte zu machen. Der Rechtsstaat muss dafür sorgen, dass der Einzelne nur auf sein eigenes Risiko seine Vorteile am Markt suchen darf. Das war bei der Finanzkrise offenbar nicht mehr der Fall.

Wer hat mehr versagt, der Staat oder der Markt?

Lindner: Ich rate von einseitigen Schuldzuweisungen ab. Staats- und Marktversagen sind nicht zu trennen, einem Marktversagen geht immer ein Staatsversagen voraus. Es hat Geschäfte auf Kosten der Allgemeinheit gegeben, aber die Politik hat sie auch zugelassen.

Sie plädieren seit kurzem für einen "mitfühlenden Liberalismus". Ist das nicht auch ein Schwenk nach links?

Lindner: Nein, das ist eine Erinnerung daran, dass Liberalismus nicht ein Set von Regeln für Monopoly ist. Uns geht es um konkret realisierte Lebenschancen, nicht um abstrakte Garantien.

Und jetzt konkret?

Lindner: Erstens wollen wir eine Ordnung für Märkte, damit der Wettbewerb fair ist. Zweitens braucht der Einzelne bestimmte Ressourcen wie Bildung, um zwischen Lebenswegen wählen zu können. Drittens muss jeder, der seine Freiheit nutzt, Verantwortung übernehmen. Verantwortlich handeln heißt für mich, dass man Gründe für seine Entscheidungen angeben kann, die vor Moral, Gemeinwohl oder gesundem Menschenverstand bestehen können.

Ist es verantwortlich, wenn Unternehmen Millionen-Boni auszahlen?

Lindner: Kommt auf den Einzelfall an. Aber wenn etwa die Deutsche Bank einem einzelnen Händler eine Prämie von 80 Millionen Euro zahlt, weil er ein paar Positionen von links nach rechts geschoben hat, kann man das nicht rechtfertigen.

Für uns klingt der "mitfühlende Liberalismus" dennoch wie eine Anpassung an die vorherrschende gesellschaftliche Debatte.

Lindner: Adam Smith hat erst in seinem zweiten Buch über die "unsichtbare Hand" des Marktes geschrieben; sein erstes drehte sich um die Theorie der ethischen Gefühle. Diese Akzentsetzung ist also nichts Neues.

Sie wünschen sich die FDP also liberal-sozial?

Lindner: Ich bin gegen Bindestriche. Soziale Verantwortung nehmen Liberale wahr. Sonst wäre es eine Ellbogengesellschaft.

Aus liberal-sozial wird schnell sozial-liberal. Wünschen Sie sich eine Äquidistanz Ihrer FDP zu SPD und Union?

Lindner: Wenn die SPD nach links rückt, folgen wir nicht. Von der Agenda 2010 wollen die meisten Sozialdemokraten nichts mehr wissen, und der Seeheimer Kreis ist nur noch eine Splittergruppe innerhalb der SPD. Das ist bedauerlich.

Die FDP passt sich inhaltlich doch auch an - etwa beim Mindestlohn. Den haben Sie früher vehement abgelehnt, nun befürworten Sie Mindestlöhne.

Lindner: Nein, unverändert lehnen wir ab, dass Politiker die Höhe der Löhne befehlen. Die Welt hat sich aber verändert, die Tarifbindung ist zurückgegangen. Wir wollen erleichtern, dass es zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu Vereinbarungen kommt, die man für allgemeinverbindlich erklären kann. Dafür sind wenige Gesetze zu justieren. Das Kartellamt wollen wir einbeziehen, damit Außenseiterkonkurrenz nicht verdrängt wird. Das ist ganz auf der Linie der Sozialen Marktwirtschaft, ganz die Linie von Walter Eucken. Das hat nichts zu tun mit dem, was die politische Linke oder Teile der CDU anstreben.

Die Enttäuschung über Ihren Koalitionspartner in Berlin scheint bei Ihnen sehr tief zu sitzen.

Lindner: Ach, ich bin Realist. Das lässt uns Raum. Die Union profitiert von der Stärke der Bundeskanzlerin, die ich persönlich schätze. Andererseits frage ich mich, wofür die CDU/CSU in der Sache steht.

Der Sachverständigenrat sagt voraus, dass die Staatsquote in diesem Jahr erstmals seit mehreren Jahren wieder steigt. Geht der Trend wieder weg von der Marktwirtschaft und hin zur Staatswirtschaft?

Lindner: Mich besorgt, dass die Steuerquote steigt, und zwar im OECD-Vergleich relativ stark. Das ist das Ergebnis der kalten Progression. Deren Beseitigung haben SPD und Grüne im Bundesrat verhindert. Das kann ich nicht verstehen. Damit wird den Beschäftigten ihr fairer Anteil am Aufschwung genommen.

Und wie erklären Sie die steigende Staatsquote?

Lindner: Die konkrete Entwicklung möchte ich erst abwarten. Der bisherige Trend ist anders: 2009 lag sie bei 48,2 Prozent, 2012 bei 45,0 Prozent. Der Bund wird am Ende der Legislaturperiode 2013 weniger Geld ausgeben als zu ihrem Beginn 2009. Das ist eine einmalige Leistung in der Geschichte der Bundesrepublik. Früher sind Etats immer gewachsen. Diese Disziplin wollen wir verteidigen.

Sie schreiben in Ihrem jüngsten Buch: "Der Staat war und ist zu wenig Schiedsrichter und zu sehr verstrickt ins Getümmel." Was meinen Sie mit Getümmel?

Lindner: Die punktuellen Eingriffe in den Markt. Nehmen Sie das Beispiel Opel. Die Bürger als Konsumenten wollen die Produkte nicht mehr kaufen. Dann kommt die Politik und will deren Entscheidung mit Staatshilfen korrigieren - so wollten es Schwarze, Rote und Grüne. Das meine ich mit Getümmel.

Aber seit fast vier Jahren regiert die FDP im Bund mit. Da hätten Sie einiges an Getümmel beenden können.

Lindner: Bei Opel und Schlecker haben wir das ja verhindert. In der Energiepolitik ist aber noch einiges zu tun. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz geht im Wesentlichen auf Rot-Grün zurück. Es ist planwirtschaftlich und macht die Energiewende teurer und riskanter, als sie ohnehin ist.

Wie wollen Sie denn den Staat aus dem Getümmel heraus bekommen?

Lindner: Indem der Staat sich auf die Setzung von Rahmenbedingungen konzentriert. Staatlich garantierte Abnahme zu staatlich garantierten Preisen in der Energiepolitik führt nicht zu Effizienz und Innovation. Ich fordere diejenigen auf, die unternehmerisch denken und handeln, couragierter öffentlich für die Soziale Marktwirtschaft zu werben und ökonomische Zusammenhänge zu erklären.

Sie vermissen gerade jetzt die Stimmen von Managern und Unternehmern in der öffentlichen Debatte?

Lindner: Ja, leider. Oft hört man sogar Selbstbezichtigungen. Gerne wird auf die FDP verwiesen, dass sie nicht hundertprozentig alles erreicht habe, was sie sich vorgenommen hat und was aus Sicht von Marktwirtschaftlern nötig sei.

Und was sagen Sie ihnen dann?

Lindner: Ich lade dazu ein, auf die CDU/CSU einzuwirken, unseren Koalitionspartner in Berlin. Die Union verstärkt geradezu bestimmte Vorbehalte in der Gesellschaft, indem sie sie selber aufgreift.

Zum Beispiel?

Lindner: Wenn etwa die Ministerpräsidentin des Saarlandes einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent fordert. Das verstärkt die Argumente von SPD und Grünen, obwohl diese Forderung katastrophale Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung hätte. Oder denken Sie an die Frauenquote. Da sind wir die Einzigen, die für Vertragsfreiheit argumentieren. Und wenn wir uns umdrehen, sind die Unternehmer und ihre Verbände weg.

Wo sind sie hin?

Lindner: Nicht da, wo ich sie mir wünschen würde.

Viele Manager haben im aktuellen politischen Umfeld auch Angst vor einer gesellschaftlichen Ächtung.

Lindner: Banker und Manager sind bereits stigmatisiert. Teilweise hat es ja auch Fehlentwicklungen gegeben, aber die Generalisierung ist falsch. Dieses politische Umfeld verändert man nur durch kluge Argumente.

Unternehmer wie SMS-Siemag-Chef Heinrich Weiss beklagen, dass unsere Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Brücken, zunehmend zerfällt, was für sie Wettbewerbsnachteile bedeutet. Wer ist schuld?

Lindner: In NRW, wo das Unternehmen von Herrn Weiss seinen Sitz hat, werden Investitionen in Infrastruktur sogar auf Betreiben der Grünen mit Ausnahme des Radwegebaus gekürzt. Dennoch bleibt ein gesamtstaatliches Problem. Nach der Einheit ist viel Geld in die neuen Länder geflossen. Nach dem Ende des Solidarpakts II 2019 muss spätestens eine neue Schwerpunktsetzung erfolgen.

Das ist noch sechs Jahre hin, so lang muss Herr Weiss seine Laster noch Umwege fahren lassen?

Lindner: Was den Solidarpakt angeht, so muss man Verträge einhalten.

Aber Geld gibt es ja auch woanders als nur im Solidarpakt.

Lindner: Ja. Im Bund haben wir Investitionen in die Infrastruktur in diesem Jahr um 750 Millionen Euro erhöht. Das muss fortgesetzt werden, es ist eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre.