Man muss sich der Debatte stellen und Widerspruch aushalten.
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Umfragen sehen die FDP in Sachsen bei zwei Prozent. Wie fühlt es sich an, keine Rolle mehr zu spielen?
Lindner: Wir sind Aufs und Abs gewöhnt. Tatsächlich haben wir etwas anzubieten, was vielen Sachsen wichtig ist: Wir setzen auf Freiheit, Bürokratieabbau und Steuerung der Einwanderung, ohne die Weltoffenheit aufs Spiel zu setzen. Wohlstand muss erwirtschaftet werden, bevor er verteilt werden kann. Wir treten für Meinungsfreiheit und die Freiheit der privaten Lebensführung ein, alles Gründe, die gerade zur Wahl von Parteien am Rand führen. Dabei gibt es eine Option in der Mitte.
81 Prozent der Sachsen sind laut Umfrage mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden. Was hat das mit Ihrer Politik zu tun?
Lindner: Die Ampel streitet und wir brauchen lange für Ergebnisse, weil die FDP dafür sorgt, dass unser Land nicht nach links rutscht, dass Steuern sinken, keine Schulden gemacht werden und investiert wird. Dass wir eine andere Einwanderungspolitik haben als die, die wir seinerzeit von Frau Merkel geerbt haben. Ich wünsche mir mehr Ambition für wirtschaftliche Stärke, für einen Staat, der funktioniert und das Leben einfach macht. Aber da sind wir eben nicht alleine und müssen uns jeden kleinen Erfolg hart erkämpfen.
Wie sehr schmerzt der Abgang von Holger Zastrow, der 20 Jahre an der Spitze von Sachsens Liberalen stand? Immerhin hat er auch Sie persönlich verantwortlich gemacht, wegen ihrer Rede bei den Bauernprotesten.
Lindner: Holger Zastrow hat sich schon vor über zehn Jahren von der FDP entfremdet. Bei Parteiaustritten werden keine objektiven Gründe genannt, sondern das ist schon Teil der Erzählung für eine neue politische Heimat. Ich wünsche ihm persönlich alles Gute.
Zuletzt wurde das Land Zeuge eines heftigen Haushaltsstreits. Wie lange hält die Ampel noch?
Lindner: Das Ergebnis spricht für sich. Wir haben eine verfassungsrechtlich unangreifbare Position beschlossen. Wir stärken die Bahn. Andere Dinge werden nicht umgesetzt, weil sie ökonomisch nicht sinnvoll oder verfassungsrechtlich riskant gewesen wären. Ich will mehr tun für Bildung, Sicherheitsbehörden, Straße, Schiene, digitale Netze und für die Bundeswehr und der arbeitenden Bevölkerung mehr Netto zur Verfügung stellen. Wenn das von anderen unterstützt wird, gibt es keinen Grund, eine Regierungszusammenarbeit nicht fortzusetzen.
Der Verteidigungshaushalt soll 2028 von 53 auf 80 Milliarden Euro steigen. Schiebt die Ampel das Problem auf die Zukunft?
Lindner: Über den weiteren Weg muss nach und bei der Bundestagswahl entschieden werden. Geht Deutschland den Weg höherer Steuern und mehr Schulden? Oder geht Deutschland den Weg, seine Wirtschaftskraft zu stärken, den Staat schlanker zu machen, sich zu konzentrieren auf seine Kernaufgaben und unsere Ausgaben neu auszurichten, also den Sozialstaat treffsicherer zu machen? Werden wir illegale Einwanderung nach Deutschland unterbinden und stattdessen Fach- und Führungskräfte gewinnen, die wir brauchen, um auf den Weltmärkten unseren Wohlstand zu verteidigen? Über die Richtung, entscheidet die nächste Wahl.
Auch über die von Ihnen verteidigte Schuldenbremse?
Lindner: Absolut. Diejenigen, die die Schuldenbremse infrage stellen, wollen in Wahrheit ja nicht mehr Investitionen, sondern sie wollen in Wahrheit unbequeme Entscheidungen vermeiden, indem sie sie in die Zukunft verlagern durch Schulden. Die Milliarden für den Sozialstaat könnten wir leicht einsetzen für zusätzliche Investitionen, ohne dass wir Schulden machen. Denn für Schulden zahlen wir hohe Zinsen.
Aus Ihrer Partei heißt es, in den 16 Jahren Merkel seien Probleme vor allen Dingen mit Geld, was da war, zugeschüttet worden.
Lindner: Der Investitionsstau wurde über mehr als zehn Jahre aufgebaut. Den kann man nicht per Fingerschnippen von jetzt auf gleich auflösen, sondern nur, indem man ein stetiges, langfristig dauerhaft hohes Investitionsniveau hat. Wenn man einmal Geld auf den Tisch legt, hat man ja nicht automatisch die Facharbeiter, die Materialien, sprich die volkswirtschaftlichen Kapazitäten, um mit dem Geld Effekte zu erzielen. Wir hatten im letzten Jahrzehnt die Situation der „schwarzen Null“ und es wurde noch nicht einmal der Spielraum der erlaubten Kreditaufnahme der Schuldenbremse genutzt. Dadurch sind viele, viele, Dutzend Milliarden Euro nicht investiert worden. Deshalb müssen wir jetzt aufholen.
Trifft der Eindruck zu, dass die Militärhilfe an die Ukraine von innenpolitischen Erwägungen nach Stimmung und Kassenlage abhängt.
Lindner: Nein. Deutschland wird die Ukraine weiter auf europäischem Spitzenniveau unterstützen. Aber wir arbeiten international ergänzend an einem neuen Instrument. Wir werden eingefrorene russische Vermögenswerte der Zentralbank nutzen, um der Ukraine daraus einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit zu ermöglichen. Das ist auch im Interesse unserer Bürger.
Die das mit der Ukraine-Hilfe hier oft anders sehen.
Lindner: Ich kenne sehr gut die Debatten in Sachsen. Wenn wir die Ukraine im Stich lassen, dann werden Polen, Tschechien und die baltischen Staaten uns das nicht vergessen. Die fürchten sich vor Putin und glauben, wir würden sie irgendwann auch fallen lassen. Erreicht Putin seine Kriegsziele, werden Millionen aus der Ukraine als Flüchtlinge nach Westeuropa und nach Deutschland kommen. Wenn man diese Migrationswelle verhindern will, dann sorgt man dafür, dass die Menschen in der Ukraine eine Zukunft haben
Eine Umfrage zeigt, dass 62 % der Sachsen die Stationierung von Raketen für falsch halten. Warum glauben Sie, ist das so?
Lindner: Ich kenne die Erzählung, Deutschland würde damit Russland bedrohen und Deutschland würde sich einer Gefahr aussetzen, wenn hier US-Raketen stationiert werden. Ich widerspreche ihr. Deutschland ist in der Reichweite von nuklear bestückbaren russischen Raketen, ohne dass wir eine Abschreckung dagegen hätten. Die Raketen sind einsatzbereit, ohne dass wir uns in gleicher Weise wehren könnten. Wir sind im Falle einer globalen Krise erpressbar. Nur glaubwürdige Abschreckung sorgt dafür, dass solche Waffen nicht eingesetzt werden. Deshalb muss das Gleichgewicht wieder hergestellt werden, das einseitig von Russland, von Putin, gebrochen worden ist.
Wie wollen Sie überzeugen?
Lindner: Durch Debatte. Ich bin dagegen, Menschen zu belehren. Wir müssen Argumente austauschen. Ich erlebe, dass Teilnehmer meiner Veranstaltungen in ganz Deutschland wie zuletzt auch in Zwickau am Anfang sehr vorsichtig sind, ihre Meinung zu sagen. Sie tun das sehr verdeckt und verkappt in Andeutungen. Für mich ist das ein Warnzeichen. Man muss sich offen austauschen, damit wir in diesem Land vorankommen. Und das betrifft auch Russland Man muss sich der Debatte stellen und Widerspruch aushalten.
Dahinter stecken oft Narrative, wie die „böse NATO“, die an Russland herangerückt sei.
Lindner: Ich war mit Hans-Dietrich Genscher sehr gut bekannt. Wir haben ein Buch über unsere Gespräche herausgebracht und deshalb kann ich bestätigen, es gab diese Zusage nie. Es wäre mit unserem Verständnis des Völkerrechts unvereinbar: Dass Polen, die Ukraine, die baltischen Staaten kein Recht hätten, über ihre Zukunft zu entscheiden. Nicht die Nato hat ja Polen reingeholt. Polen wollte die Nato-Sicherheitsgarantie, weil es sich vor Russland als Nachfolger der Sowjetunion fürchtete. Wollen wir unseren Nachbarn sagen: Wir brauchen euch als Puffer zu Russland und deshalb ist euer Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt? Wenn man argumentativ vieles, was auf die Ukraine gemünzt ist, durch Polen oder Tschechien ersetzt, die uns näher sind, wandelt sich das Bild und Menschen kommen zumindest ins Nachdenken.
Die jüngste Sonntagsfrage sieht die FDP im Bund zwischen vier und fünf Prozent. Was machen Sie nach der nächsten Bundestagswahl beruflich?
Lindner: Anfang 2021 stand die FDP in den Umfragen ähnlich. Am Ende des Jahres hatten wir 11,5 Prozent und wir haben über die Bildung einer Regierung verhandelt. Ich habe als Parteivorsitzender so viele Achterbahnfahrten mitgemacht, dass ich inzwischen starke Nerven habe.