Liefern kann nur Schwarz-Gelb.

Christian Lindner Innere Sicherheit
T-online

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Herr Lindner, erst der Terroranschlag in Magdeburg, jetzt das Attentat in Aschaffenburg: Der Wahlkampf steht vollends im Zeichen der inneren Sicherheit. Als liberale Partei können Sie jetzt doch eigentlich einpacken, oder?

Lindner: Im Gegenteil. Die FDP ist für einen starken Rechtsstaat, der dafür sorgt, dass die Menschen sich an jeder Stelle und zu jeder Zeit auf die öffentliche Ordnung verlassen können. Unser Problem ist: Einen solchen Staat haben wir derzeit nicht. Wir haben einen Staat, der unser Leben stark bürokratisiert und uns bevormundet, statt seine wesentlichen Aufgaben zu erfüllen. Für uns Liberale ist klar: Wir müssen den Staat dort mit der Heckenschere zurückschneiden, wo er lästig ist und wo er bremst – und ihn dort stärken, wo wir ihn dringend brauchen. Bei der inneren und äußeren Sicherheit, bei der Bildung, bei Infrastruktur und Forschung. Und dabei, unsere Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen.

Aber innere Sicherheit und Freiheit sind doch ein Stück weit ein Widerspruch.

Lindner: Nein, auch das sehe ich anders. In meinem Wahlkreis sprechen mich ältere Menschen an, die sagen, sie fahren nicht mehr nach Köln, weil sie sich abends nach dem Kinobesuch nicht mehr sicher fühlen. Mir erzählen Eltern, dass sie die Tochter im Teenageralter nicht mehr alleine in die Stadt gehen lassen, weil sie das Gefühl haben, das sei nicht sicher. Diese Form der Selbstbeschränkung aus Unsicherheit ist doch eine empfindliche Form der Freiheitseinschränkung.

Im Bundestag wollen Sie heute einen Antrag der Unionsfraktion zur Migrationspolitik unterstützen, bei dem auch die AfD mitstimmt – obwohl dieser Vorgang rein symbolischen Wert hat, faktisch nichts ändert. Wie viel Wahlkampf-Verzweiflung steckt darin?

Lindner: Verzweiflung der CDU? Der Antrag, den die Union stellt, geht in eine Richtung, die wir als FDP richtig finden. Wir sind seit vielen Jahren der Auffassung, dass wir die Weltoffenheit und Toleranz unserer Gesellschaft nur durch mehr Steuerung, Kontrolle und Begrenzung der Migration erhalten können. In der Ampelkoalition haben wir gegenüber der Politik von Frau Merkel vieles konsequenter machen können, zum Beispiel die massive Kürzung von Geldleistungen. Aber weitere Maßnahmen sind auch immer wieder vom linken Flügel der Grünen verhindert, verwässert oder verzögert worden.

Als Fraktion planen Sie auch einen eigenen Antrag einzubringen, in dem Sie fordern, Entwicklungshilfe nur noch an Länder zu zahlen, die Flüchtlinge zurücknehmen. Das klingt wie US-Präsident Donald Trump, der im selben Anliegen Kolumbien mit Zöllen droht.

Lindner: Es ist ein Unterschied, ob man mit Zöllen einen Handelskrieg riskiert oder ob man auf Partnerschaft besteht. Wenn wir Entwicklungshilfe gewähren, dürfen wir doch erwarten, dass der Empfängerstaat uns bei der Begrenzung der irregulären Migration hilft? Afghanistan hat die letzten drei Jahre eine Milliarde Euro Steuergeld erhalten. Ich bin überzeugt: Wir müssen unsere internationale Politik neu ausrichten. Warum sollten wir an Länder, die unsere Interessen bei der Begrenzung der irregulären Migration missachten, weiter Milliarden zahlen? Das kann ich nicht als verantwortungsbewusst oder humanitär empfinden, sondern nur als naiv und dumm. Das sollten wir nicht sein.

Auch diesem Antrag könnte die AfD zustimmen. Nehmen wir an, Sie schaffen den Wiedereinzug in den Bundestag: Wie wollen Sie glaubhaft versichern, dass Sie dann mit den Rechtspopulisten keine gemeinsame Sache machen?

Lindner: Es gibt kein Zusammenwirken mit der AfD. Es ist ein Unterschied, ob man Anträgen der CDU/CSU zustimmt oder der AfD. Außerdem haben wir auch schon erlebt, dass im Bundestag nur die AfD unseren Anträgen zugestimmt hat. Nach meiner Erinnerung war das bei unserem Gesetzentwurf zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags so. Nach der Logik hätten wir den gar nicht zur Abstimmung stellen dürfen, weil die AfD zugestimmt hat. Das wäre absurd. Die gegenwärtige Lage ist ohnehin eine Ausnahme.

Was meinen Sie damit?

Lindner: Aktuell haben wir ein Parlament der freien Fraktionen ohne feste Mehrheiten. Nach der Wahl wird die Lage wieder eine andere sein, dann wird die Union in einer Koalition gebunden sein. Die jetzige Zustimmung der AfD wird dann nicht Friedrich Merz‘ Problem sein.

Sondern?

Lindner: Er wird möglicherweise nicht liefern können, was nötig ist. Denn er regiert dann vielleicht mit den Grünen. SPD und Grüne haben beide noch immer nicht erkannt, was das überragende Interesse der Menschen in diesem Land ist. Nämlich eine Zäsur zur Merkel-Politik. Ich habe ja intensiv mit beiden Parteien verhandelt. Ich muss es deutlich sagen: Speziell die Grünen sind ein Konjunkturprogramm für die AfD. Die Grünen ruinieren mit ihrer ideologischen Klimapolitik unsere Wirtschaft. Sie wollen die Menschen bevormunden. Und sie haben sich erst kürzlich auf ihrem Parteitag für einen leichteren Familiennachzug von Flüchtlingen ausgesprochen – also für mehr Migration und nicht weniger.

Diesen Familiennachzug begrenzen will – neben dem Migrationsantrag – zusätzlich ein Gesetz, das die Union am Freitag final im Bundestag verabschieden will. Dem werden Sie dann also auch zustimmen?

Lindner: Ja. Denn in dem Gesetz sind Punkte enthalten, die die FDP teils schon vor Jahren vorgeschlagen hat. In der Nach-Merkel-Zeit kommt die Union darauf zurück. Nachdem wir auch keine Rücksicht mehr auf Koalitionspartner nehmen müssen, können wir zustimmen. Angesichts des Widerstands aus den Bundesländern, wo die CDU mit den Grünen regiert, ist die eigentliche Frage aber doch: Was passiert mit diesem Gesetz im Bundesrat? Schleswig-Holstein mit Herrn Günther will ja schon nicht zustimmen. Die CDU hat interne Konflikte, was sie wirklich will. Die brechen erst recht auf, wenn Friedrich Merz nach der Bundestagswahl mit der SPD oder den Grünen eine Koalition bilden muss. In den Fragen liefern kann nur Schwarz-Gelb. Sonst droht ein riesiger Vertrauensverlust.

Würden Sie das Ihrerseits auch tun, also: ein mögliches Dreierbündnis mit den Grünen ausschließen?

Lindner: Wenn die FDP im Bundestag ist, gibt es vermutlich rechnerisch keine Mehrheit für Schwarz-Grün. Das wäre schon einmal gut. Das Beste wäre eine schwarz-gelbe Mehrheit. Gelingt das nicht, wäre eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP wie in Sachsen-Anhalt immer noch besser als Schwarz-Rot allein.

Jetzt haben wir ganz viel über die drängenden Fragen der Migrationspolitik gesprochen und noch wenig über den eigentlichen Fokus des FDP-Wahlkampfs, die Wirtschaftspolitik. Haben Sie im Lichte der aktuellen Debatte aufs falsche Thema gesetzt?

Lindner: Das fragen Sie bitte mal die Menschen, die gegenwärtig zu Zehntausenden ihren Arbeitsplatz verlieren. Oder diejenigen, die sich ihren Lebensstandard nicht mehr leisten können, weil die Preise schneller gestiegen sind als ihr Einkommen. Es ist von überragender Bedeutung, dass Deutschland wieder wirtschaftlich erfolgreich wird. Und ich finde auch nicht, dass man die Notwendigkeit der Wirtschaftswende ausspielen sollte gegen die Wiederherstellung staatlicher Handlungsfähigkeit bei der inneren Sicherheit und Begrenzung der irregulären Migration. Beides ist doch empörend: Es ist empörend, dass Deutschland vor die Hunde geht, weil es nicht die Kraft gibt zu einer Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und genauso empörend ist es, dass wir einen Staat haben, der zu hohe Steuern sehr schnell einzieht, es aber zugleich nicht schafft, einen Afghanen, der auffällig ist, auszuweisen, weil die Behörden Fristen versäumen.

Wenn Schwarz-Gelb Ihre Wunschoption nach der Wahl ist: Wie oft telefonieren Sie mit Friedrich Merz, wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?

Lindner: Ich habe ein gutes Verhältnis zur Union. Persönlich gilt das sowohl für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als auch für den Chef der CSU, Markus Söder. Aber wir stehen natürlich in einem politischen Wettbewerb. Und da erlaube ich mir schon zu sagen, dass die Politik der CDU geprägt ist durch die Koalition, die sie bildet. Es ist ganz offensichtlich, dass ein Kanzler Merz mit einem Finanzminister Lindner anders regieren würde als ein Kanzler Merz mit einem Wirtschaftsminister Habeck.

Für Merz-Lindner würde es derzeit aber nur im Rahmen einer Minderheitsregierung reichen.

Lindner: Wer sollte einen Kanzler Friedrich Merz denn wählen, wenn er keine feste Mehrheit hat? Deutschland braucht eine stabile Regierung, die sich nicht abhängig machen kann von einer Partei wie der AfD – und zwar schon unabhängig von den nationalen und sozialistischen Ideen eines Herrn Höcke: Die AfD will, dass Deutschland aus der Europäischen Union austritt, was uns wirtschaftlich ruinieren würde. Frau Weidel will Windräder, die mit privatem Kapital gebaut wurden, abreißen, womit sie ein völlig gestörtes Verhältnis zum privaten Eigentum offenbart. Und in der Rentenpolitik liefen die AfD-Pläne auf Beitragssätze von 25 Prozent hinaus, was Mittelständler und Angestellte komplett überfordern würde.

Lassen Sie uns noch ein wenig über Sie persönlich sprechen. Im Zusammenhang mit dem Attentat von Aschaffenburg haben Sie sich als „werdender Papa“ besonders ergriffen gezeigt. Wahlkampf und baldige Vaterschaft: Wie geht das für Sie zusammen?

Lindner: Gott sei Dank ist die Zielgerade unseres Nachwuchses nach dem Wahltermin. Dann bereiten wir uns auf die Ankunft eines neuen kleinen Menschen vor. Das ist das größte Glück.

Das heißt, auf den errechneten Geburtstermin fiebern Sie noch mehr hin als auf den Wahltag.

Lindner: Das ist doch selbstverständlich. Das ist ein Lebensereignis. Ich bin so neugierig, nicht nur auf das Baby, sondern auch auf das, was das mit uns als Familie macht und auch mit mir selbst.

Was nehmen Sie aus Ihrem Leben als Politiker mit ins künftige Leben als Familienvater?

Lindner: Absolut rein gar nichts. Null. Mein persönliches, privates, familiäres Leben hat schon jetzt nichts zu tun mit den politischen Machtauseinandersetzungen. Deshalb gehe ich mit meinem Seelenleben auch nicht an die Öffentlichkeit, sondern trenne das rigoros, um das Persönlichste zu schützen. Das gilt umso mehr, wenn es noch mit einem unschuldigen Wesen verbunden ist.

Gerhard Schröder hat einmal gesagt: „Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, dann haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.“ Wie ist das bei Ihnen, denken Sie Ähnliches mit Blick auf ein bestimmtes Wahlergebnis für die FDP und Ihre Rolle als Parteichef?

Lindner: Ich will den Wahlerfolg am 23. Februar. Natürlich bin ich nicht der Darling von allen, aber dass ich für Überzeugungen mit größtem Einsatz streite, mich immer dem linksgrünen Mainstream widersetze und dafür sogar ins komplette Risiko gehe, bestreitet niemand. Bei allen meinen bisher vier Spitzenkandidaturen gab es deshalb einen Endspurt. Es gab dann viele, die gesagt haben: Auf die FDP verzichten, da würde was fehlen in der Landschaft.