Jetzt geht es um das Rennen FDP – AfD
Herr Lindner, nach fast 17 Jahren im Landtag: Sind Sie ein wenig wehmütig über den Abschied aus Düsseldorf?
Lindner: Es war eine tolle Zeit, für die ich sehr dankbar bin. Aber der Abschied fällt mir jetzt leicht. Wir haben fünf Jahre für die Ablösung von Rot-Grün und einen Richtungswechsel gekämpft. Die FDP hat mit der CDU einen Koalitionsvertrag verhandelt, der Nordrhein-Westfalen die ideologischen Fesseln löst und klare Prioritäten bei Bildung, Digitalisierung und Rechtsstaat setzt. Meine letzte Landtagsrede war zur Regierungserklärung von Armin Laschet. Damit ist für mich das Kapitel geschlossen. Ich werde mein Mandat abgeben. Egal, was kommt. Die Führungsverantwortung liegt nun bei unserem Vize-Ministerpräsidenten Joachim Stamp.
Eine Verteidigung der Rede des Regierungschefs: Steht das demnächst auch im Bundestag an?
Lindner: Am wahrscheinlichsten ist eine große Koalition. Daher ist entscheidend: Wer wird dritte Kraft? Linke und Grüne waren als Opposition ein Totalausfall. Bei der finanzpolitischen Untätigkeit von Herrn Schäuble, der chaotischen Flüchtlingspolitik und dem Bürokratismus haben sie die Regierung eher angefeuert als kritisiert. Jetzt geht es um das Rennen zwischen FDP und AfD. Die AfD mit ihren Verschwörungstheorien, der internen Zerrissenheit und vor allem ihrer völkisch-autoritären Einstellung wäre kein Gegengewicht zur großen Koalition. Wenn wir dritte Kraft werden, ist entweder die SPD Oppositionsführerin, falls es zu einer kleinen Koalition kommt. Oder wir sind es eben im Fall einer großen Koalition. Beides wäre gut für die politische Kultur.
Sie haben „Prüfsteine“ für mögliche Koalitionsgespräche nach der Bundestagswahl formuliert. Also rechnen Sie doch mit einer Regierungsbeteiligung?
Lindner: Natürlich ist es unser Ziel, etwas für die Menschen und unser Land zu bewirken. Wir haben uns erneuert, um die Politik zu erneuern. Nur: Dafür braucht es eine parlamentarische Mehrheit. Und wenn es die gibt, braucht es einen Koalitionsvertrag, in dem alle Partner Anliegen verankern können und Grundprinzipien nicht verletzen müssen. Sonst gibt es Verlierer und Streit. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht, Fehler werden wir nicht wiederholen. Wir stellen keine weltfremden Forderungen, denn wir sind Realisten. Aber wir wollen Trendwenden erreichen. Anders als früher haben heute unsere Mitglieder bei Koalitionsverträgen das letzte Wort. Die Parteibasis, die für unsere Politik im Alltag einstehen muss, achtet am besten darauf, dass Projekte umgesetzt und rote Linien respektiert werden.
Was sind diese roten Linien?
Lindner: Unsere Kernanliegen sind: dass Bildung aus dem Schlusswort des Kanzlerduells an die Spitze der Tagesordnung kommt; wir wollen die Digitalisierung des Staats mit Tempo vorantreiben; wir fordern ein Einwanderungsgesetz und mehr Physik statt Ideologie in der Energiepolitik. Wir wollen stärkere Sicherheitsbehörden statt freiheitsfeindlichere Gesetze. Wir wollen vom Hartz-IV-Empfänger über die Familien bis zum Ingenieur allen das wirtschaftliche Vorankommen erleichtern. Die schwierigste Frage ist aber die Weichenstellung für die Zukunft Europas. Ich habe die Befürchtung, dass Frau Merkel mit Herrn Macron bereits neue Geldtöpfe verabredet hat. Der französische Präsident will, dass drei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung in ein Budget für die Euro-Zone fließen. Das wären für uns mal eben 90 bis 100 Milliarden Euro, die durch eine Geldpipeline in andere Staaten gelenkt werden. Das würde Europa nicht stärken, sondern die Fliehkräfte vergrößern. So etwas wäre mit der FDP unmöglich zu machen. Wir wollen den Erfolg Europas, aber der basiert auf Stabilität, Regeln und Haftung. Da kann es keinen Rabatt geben, weil Herr Macron ein sympathischer Mann ist, dem wir Erfolge wünschen.
Kommissionspräsident Juncker hat vorgeschlagen, die Euro-Zone auszuweiten.
Lindner: Herr Juncker hat viel Richtiges gesagt: Mehr Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung oder in der Flüchtlingsfrage. Ich finde es auch gut, die Regeln der Währungsunion durch eine unabhängige Institution verbindlicher zu machen, die man meinetwegen Finanzminister nennen kann. Das alte Ziel der Ausweitung der Euro-Zone auf alle EU-Staaten ist aber aus der Zeit gefallen. Im Gegenteil: Die Euro-Zone muss konsolidiert werden.
Also eher weniger Euro-Staaten als mehr?
Lindner: Das ist nicht unser Ziel. Aber wir brauchen ein Insolvenzrecht in der Euro-Zone als Ultima Ratio. Und wir wollen die Möglichkeit eines Austritts schaffen, ohne die EU verlassen zu müssen. Für Griechenland sollte es diese Option geben. Athen erfüllt beständig seine Auflagen nicht. Der Internationale Währungsfonds besteht ja auf einem Schuldenschnitt. Den kann es innerhalb des Euros nicht geben.
Ist Griechenland eine rote Linie für die FDP?
Lindner: Uns ist die Rückkehr zu Regeln und zu finanzpolitischer Eigenverantwortung wichtig. Da könnten Griechenland und die Macron-Vorschläge die Hürden sein. Alles, was auf einen Finanzausgleich auf europäischer Ebene hinausläuft, als Euro-Zonen-Budget oder als Bankenunion, ist für uns eine rote Linie.
Sie wollen die Fehler Guido Westerwelles aus 2009 nicht wiederholen. Einer war, dass er in die Regierung gegangen ist, statt die Fraktion zu führen. Stünden Sie selbst für ein Ministeramt zur Verfügung?
Lindner: Wir wissen ja noch gar nicht, welche Rolle der Wähler uns zuweist. Ich kann nur sagen: Ich habe bestimmte Themen, denen bleibe ich treu. Das sind Finanzen und Wirtschaft, Bildung und Digitales. Und ich kenne die Machtverhältnisse innerhalb von Regierungen. Wenn mich Martin Schulz am Montag nach der Bundestagswahl anrufen würde und fragte: Herr Lindner, welches Ministerium soll ich für die SPD in der neuen schwarz-roten Koalition beanspruchen? Dann würde ich raten: Herr Schulz, natürlich müssen Sie das Finanzministerium nehmen. Weil es das einzige Haus ist, das auf Augenhöhe mit dem Kanzleramt ist. Nur als Finanzminister haben Sie relevanten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, sprechen in Europa bei der entscheidenden Frage Euro mit und sind für Deutschland in der Welt an den großen Entscheidungen bei G20 am Tisch. Das wäre mein Ratschlag an Herrn Schulz, der aber nichts mit der FDP zu tun hat.
Haben Sie überhaupt Personal für eine Regierungsbeteiligung? Sie kommen aus der außerparlamentarischen Opposition.
Lindner: Die Hürde wäre nicht die Personalreserve, die Hürde sind die politischen Inhalte. Manche verwenden das Wort Regierungserfahrung doch eher als eine Chiffre, die in Wahrheit nur heißt: Bitte keine neuen Wege. Ich bin stolz, dass es bei uns frische und kompetente Köpfe gibt. Schauen Sie auf unsere Listen, da finden Sie Kandidaten, die in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft Verantwortung getragen haben. Und Sie finden erfahrene Parlamentarier aus Bund und Ländern.
Forcieren Sie weiterhin einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung 2015?
Lindner: Der Sommer 2015 darf sich so nicht wiederholen. Als Opposition wäre ein solcher Ausschuss das einzige Instrument, um Fehler der Regierung von damals transparent und um Druck für eine neue Einwanderungspolitik zu machen.
Und bei einer Regierungsbeteiligung?
Lindner: Die Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung der FDP ist eben dieses neue Einwanderungsrecht, das zwischen Asyl, Flucht und Zuwanderung unterscheidet, das schnellere Verfahren und europäischen Grenzschutz ebenso forciert wie die Möglichkeit, von Afrika aus Asylanträge stellen zu können.
„Denken wir neu“, heißt Ihr Slogan. Gilt das auch für die Zuschnitte von Ministerien?
Lindner: Organisationsentscheidungen sind Aufgabe der Regierungschefin. Was die FDP für ratsam hält, können Sie in Nordrhein-Westfalen sehen: Dort gibt es Ministerien für Digitalisierung sowie für Flüchtlinge und Integration. Denn in diesen Fragen muss entschlossener gehandelt werden.
Sie sind jetzt am Ende eines Weges, der 2013 begonnen hat. Gab es Phasen, wo Sie am Gelingen des Comebacks Ihrer Partei gezweifelt haben?
Lindner: Nicht einen Tag. Nicht eine Stunde. Nicht eine Minute. Aber es gab Phasen, wo alles auf der Kippe stand. Der Herbst 2014 war eine solche Zeit. Wir haben uns darauf konzentriert, die Partei von innen zu erneuern. Die Öffentlichkeit hat damals nur gesehen: Die verlieren Wahlen und werden bei Umfragen gar nicht mehr aufgeführt. Das führte zu irrationalen Empfehlungen, wir sollten gefälligst nach rechts rücken und die große Koalition populistischer attackieren. Wir haben es nicht getan, weil das nicht unseren liberalen Überzeugungen entspricht. Das war eine Wette auf die Nervenstärke unserer Partei. 2015 und 2016 wurden dann die Fortschritte durch gute Wahlergebnisse nach außen sichtbar. Jetzt ist unser Comeback in greifbare Nähe gerückt.
Haben Sie Sorge, dass auf der Zielgeraden noch etwas schiefgehen kann?
Lindner: Es kann immer etwas passieren. Wir erleben einen harten Machtkampf. Die Grünen haben die FDP zum Staatsfeind Nummer eins erklärt, auch die SPD greift uns an. Das kann ich verstehen, weil wir bei beiden Parteien in Nordrhein-Westfalen 190.000 Wähler gewonnen haben. Das waren Menschen, deren ökologische und soziale Sensibilität wir teilen, denen wir aber bessere Konzepte angeboten haben. Es ist doch bezeichnend, dass derzeit amerikanische Hedgefonds, die französische Regierung und die Grünen gleichermaßen vor der FDP warnen. Ich fühle mich damit wohl, denn das zeigt: Die FDP ist die Kraft von Vernunft und Verantwortung, von Mitte und Marktwirtschaft.
Über ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und Union denken Sie nicht mehr nach?
Lindner: Ich glaube nicht mehr an Schwarz-Gelb-Grün. In der Einwanderungs-, Energie oder Steuerpolitik haben wir gegenteilige Vorstellungen.
Werden Sie am Sonntag Ihr Versprechen gegenüber Wolfgang Kubicki halten?
Lindner: Natürlich. Wir werden uns spät am Wahlabend treffen – so wie wir das vor vier Jahren gemacht haben. Damals war das Frustbewältigung. Jetzt hoffe ich, dass wir auf vier raue und harte Jahre trinken können, nach deren Ende die FDP lebt. Auf das neue Leben, egal wie es aussieht, werden wir anstoßen.