Finanzielle Solidität ist ein Faktor unserer geopolitischen Stärke.

Christian Lindner Haushalt
Mediengruppe Bayern

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Herr Lindner, Spitzenpolitiker wie Sie sind ständig von mehreren Sicherheitsbeamten umgeben. Ist der Gedanke, angegriffen zu werden, nach den jüngsten Attacken auf Politiker präsenter als sonst?

Lindner: Nein, ich fühle mich nicht bedroht. Ich verändere auch mein Verhalten nicht. Ich mache unverändert zum Beispiel Selfies mit den Besuchern meiner Veranstaltungen. Allerdings ist das Klima seit Corona rauer geworden. Aber jeder, egal ob Politiker oder Bürger, muss wissen, dass sie oder er irgendwann selbst betroffen sein kann. Wenn wir Gewalt und Verrohung hinnehmen, dann kann es alle treffen, die eine andere Meinung oder eine andere Lebensweise haben. Deshalb geht es um den Schutz unserer freien, offenen und toleranten Gesellschaft.

Braucht es eine Verschärfung von Strafen?

Lindner: Experten sagen, dass der Strafrahmen ausreicht, aber die Handlungsfähigkeit der Justiz verbessert werden muss. Körperverletzung ist strafbar. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Opfer nun ein öffentliches Amt bekleidet oder nicht. Die Verrohung auch jenseits von Attacken ist offensichtlich. Ich bin jetzt 24 Jahre Abgeordneter, habe aber kaum jemals mit Eskalationen zu tun gehabt. Innerhalb weniger Jahre ist das anders geworden. In meinen Veranstaltungen habe ich nun regelmäßig vor allem linke Gruppen, die nicht mehr diskutieren wollen, sondern einfach nur Lärm machen oder blockieren. Oder mit Stinkbomben den Versuch unternehmen, dass man Argumente gar nicht mehr vortragen kann.

Sie haben am Dienstag eine Kabinettsbefassung des Rentenpakets gestoppt. Warum?

Lindner: Ein business as usual war mir nicht möglich. Die Anmeldungen für den Bundeshaushalt 2025 haben nicht den Eindruck erweckt, dass alle die ökonomischen Realitäten erkannt haben. Deshalb musste ich mich beim Bundeskanzler und dem Wirtschaftsminister erst vergewissern, ob wir noch auf einer Linie sind. Unsere Linie heißt: Deutschland kann nicht auf Dauer mehr Geld ausgeben und verteilen, als die Menschen erwirtschaften. Gegenüber 2019, vor der Pandemie, ist unser Staat wesentlich größer geworden. Das können die Bürgerinnen und Bürger nicht auf Dauer tragen. Wir müssen deshalb die Wirtschaft wieder in Schwung bringen durch reduzierte Lasten bei Bürokratie, Energiekosten und Steuern. Wir können nicht alles finanzieren, sondern sollten Prioritäten setzen. Digitalisierung, Bildung, Investitionen in Infrastruktur und Spitzentechnologie sichern unsere Zukunft. Der Marsch in den Schuldenstaat ist keine Alternative. Die Forderungen verschiedener Ministerien haben mich zweifeln lassen, ob wir diese Linie noch gemeinsam verfolgen.

Sie haben mit dem Bruch gedroht?

Lindner: Nie. Aber jedem ist doch klar, dass eine Einigung auf einen Haushalt und eine Wirtschaftswende notwendig sind, damit am Ende auch Vorhaben wie das Rentenpaket eine Mehrheit im Bundestag finden. Ich bedauere daher, dass der Kollege Pistorius die Debatte um die Schuldenbremse fortsetzt. Damit wird wieder am Grundkonsens der Koalition gerüttelt. Auch in der Sache muss ich widersprechen. Wir können die Landes- und Bündnisverteidigung nicht auf Pump finanzieren. Der Schuldenstand und die Zinslast würden steigen. Finanzielle Solidität ist ein Faktor unserer geopolitischen Stärke.

Um wie viel ist der Bundeshaushalt im Moment überzeichnet?

Lindner: Ich kann keine amtliche Zahl nennen, weil ich verschiedene Forderungen nicht als ernsthafte Verhandlungsposition akzeptiere. Ich kann nur sagen, dass die Spekulationen, die bisher in den Medien kursieren, die Summe unterschätzen.

Es ist ja von um die 30 Milliarden die Rede. Welche Dinge müssen zurückstehen?

Lindner: In der internationalen Politik müssen harte Sicherheit und die Unterstützung der Ukraine Priorität haben. Da geht es um Frieden und Freiheit für Deutschland. Mit Blick auf Geld für andere Teile der Welt werden wir über Zielgenauigkeit und Umfang sprechen müssen. Unsere Wirtschaftskraft reicht nicht aus, um überall auf der Welt mitzumischen. Die Fragen, die sich das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium stellen müssen, sind doch: Verbessern wir mit unserem Steuergeld wirklich Lebenschancen oder dienen die Projekte deutschen Interessen. Seit dem CSU-Entwicklungsminister Müller gibt es Projekte wie die berühmten Radwege in Peru, die man hinterfragen muss. Zum Zweiten bin ich besorgt über die Kostendynamik des Sozialhaushalts. Mir geht es nicht um Kürzungen bei bedürftigen Menschen. Aber wer arbeiten kann, muss in Deutschland auch Arbeit annehmen. Das Bürgergeld wird von vielen dagegen als ein bedingungsloses Grundeinkommen missverstanden. Inzwischen belegen Studien, dass es Fehlanreize gibt. Das Bürgergeld muss also gesetzlich weiterentwickelt werden.

Wird das Rentenpaket nun so kommen, wie es von Ihnen und Minister Heil vorgestellt wurde?

Lindner: Innerhalb der Regierung sind die Beratungen abgeschlossen. Ein großer Erfolg ist, dass wir in der gesetzlichen Rente mit dem Generationenkapital erstmals auf die Aktienanlage setzen. Das dämpft die Beitragsentwicklung. Allerdings habe ich schon bei der Vorstellung gesagt, dass wir ein Rentenpaket III benötigen. Die Reform des Rentensystems ist mit dem Rentenpaket II nicht abgeschlossen.

Es gibt eine Rentengarantie von 48 Prozent bis 2039. Bräuchte es nicht auch eine Haltelinie bei den Beiträgen? Die sollen auf 22,5 Prozent steigen.

Lindner: Beiträge von 22 Prozent darf es nicht geben. Sie ergeben sich jetzt rechnerisch, aber die Annahme ist ja falsch, dass alles so bleibt. Im Gegenteil, das Rentenpaket III muss kommen. Aus meiner Sicht muss es den Renteneintritt individualisieren und die Lebensarbeitszeit ausdehnen. Sonst gibt es keine faire Balance zwischen den Generationen.

Aber für ein Rentenpaket III bekommen sie doch in der Ampel keine Mehrheit.

Lindner: Das Generationenkapital als Einstieg in die Kapitaldeckung ist ein Durchbruch. Aber es scheint tatsächlich so, dass wir damit an der Grenze des Gemeinsamen in der Rentenpolitik dieser Legislaturperiode ankommen. Die SPD will im nächsten Schritt die Beitragsbelastung erhöhen, die FDP Kapitaldeckung ausbauen und Frühverrentung stoppen. Nach meiner Prognose wird nach der nächsten Bundestagswahl ein Rentenpaket III kommen, aber vielleicht täusche ich mich.

In Österreich ist das Rentenniveau höher, weil auch Beamte miteinbezogen werden. Warum ist das kein Modell für Deutschland?

Lindner: Es zahlen dort mehr Menschen ein, aber es beziehen auch mehr Altersbezüge. Die Sozialbeiträge und der Steuerzuschuss belasten dort stärker die arbeitende Bevölkerung. Außerdem gibt es in Österreich weit weniger betriebliche und private Altersvorsorge, weshalb der Vergleich hinkt. Ich empfehle uns eher eine Orientierung an Schweden, wo die Menschen individuelle Anwartschaften auch durch eine kapitalmarktbasierte Altersversorgung erhalten.

Die CDU hat auf dem Parteitag die Wiedereinführung der Wehrpflicht beschlossen. Im Übergang sollen zwar alle gemustert, aber nur die besten eingezogen werden. Wie steht die FDP zu so einer Idee?

Lindner: Ich empfehle eine fachliche Debatte. Brauchen wir wirklich eine Wehrpflichtarmee mit sehr vielen, aber militärisch nicht nur angelernten Rekruten? Oder brauchen wir eine hochmoderne und hochqualifizierte Armee? Zudem ist es verfassungsrechtlich fragwürdig, nur einen Teil eines Jahrgangs zum Dienst an der Waffe heranzuziehen. Schließlich müssen wir die ökonomischen Folgen bedenken. Wir haben einen Fach- und Arbeitskräftemangel. Ist es in dieser Situation ökonomisch klug, eine ganze Generation ein Jahr lang nicht in Ausbildung und Arbeit zu bringen? In der Abwägung bin ich für eine gestärkte Reserve. Wir sollten mehr Freiwillige für die Bundeswehr in der Reserve gewinnen und halten, die ihre Qualifikation in den Dienst des Landes stellen. Da geht viel verloren, weil es zum Beispiel zu wenig Dienstposten gibt.

Diese Argumente werden doch seit jeher gegen die Wehrpflicht vorgetragen. Hat sich durch den Krieg in der Ukraine die Bedrohungslage nicht substanziell geändert?

Lindner: Ja, aber eben das Kriegsszenario auch. Die konventionelle Duellsituation im „Fulda-Gap“ ist nicht mehr wahrscheinlich. Wir müssen die Gefahr einer hybriden Kriegsführung abwehren, wo wir uns im Inland gegen Cyberangriffe, Desinformation und Sabotage wehren müssen, während wir zugleich die Durchhaltefähigkeit konventioneller Kräfte in Osteuropa sichern.