Diese Chance wollen wir nicht verstreichen lassen

Christian Lindner Chance
BILD am Sonntag

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Herr Lindner, 2017 haben Sie die Koalitionsverhandlungen mit dem Satz beendet: „Lieber nicht regieren als falsch regieren.“ Was ist diesmal anders?

Lindner: Im Sondierungspapier sind viele Anliegen der FDP enthalten. Von soliden Finanzen über Investitionen in saubere Technologien und Digitalisierung, bessere Bildung und neue Aufstiegschancen bis zur gesellschaftlichen Liberalität. Die Gespräche sind professionell, diskret und fair. Selten gab es eine größere Chance, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren. Diese Chance wollen wir nicht verstreichen lassen.

Sie haben im Wahlkampf immer für ein Bündnis mit der Union geworben. Jetzt wollen Sie mit Rot-Grün regieren. Hat es deshalb schon Parteiaustritte gegeben?

Lindner: Nein, wir sind ja eigenständig in die Bundestagswahl gegangen. Die Union hat sogar Wahlkampf gegen uns gemacht. Unsere Koalitionsaussage war inhaltlich: Wir treten nur in eine Regierung der Mitte ein, die den Wert der Freiheit stärkt. Deshalb haben wir steigende Mitgliederzahlen.

Sehr hart fällt die Kritik aus der Union aus. Dort spricht man von einem Kurswechsel nach links …

Lindner: Einzelstimmen von dort muss man entschuldigen. Tatsächlich haben Armin Laschet und Friedrich Merz uns gestern öffentlich Respekt gezollt, weil sie Inhalte teilen. Mit dieser Ehrlichkeit zeigen die beiden Charakter. Ihre Äußerungen belegen, dass Deutschland aus der Mitte regiert würde.

Keine Abschaffung des Soli, aber eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und ein noch höherer Steuerzuschuss in die Rentenkasse. Wie sehr schmerzen diese Zugeständnisse?

Lindner: Den Soli konnten wir auch nie mit der CDU abschaffen. Deshalb liegt unsere Klage in Karlsruhe. Partnerschaft bedeutet Geben und Nehmen. Es kommt Bürokratieabbau bei Planungsverfahren. Bei der Rente erfolgt ein Einstieg in das Ansparen von Vorsorgekapital. Der Strom wird durch die Abschaffung der EEG-Umlage günstiger – eine Milliarden-Entlastung vom Single über die Familie bis zu Mittelstand und Handwerk.

Der Arbeitgeberpräsident sagt: „Dass dieses neue Ampel-Bündnis die Mindestlohnkommission aushebeln will, ist indiskutabel. Das ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie.“ Hat er recht?

Lindner: Die einmalige Ausnahme ist vertretbar und entspricht der Meinung der Bevölkerungsmehrheit. Gefreut habe ich mich, dass die Industrie die von uns vorgeschlagenen Super-Abschreibungen für Investitionen in Digitales und Klimaschutz begrüßt hat. Das stärkt Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Wie wollen Sie als möglicher Finanzminister die teuren Projekte der Ampelkoalition finanzieren?

Lindner: Die Schuldenbremse des Grundgesetzes bleibt erhalten. Steuererhöhungen kommen nicht. Diese Leitplanken sind wichtig. Innerhalb des Haushalts muss man Spielräume sichern, um Vorhaben zu finanzieren, etwa zur Kinderförderung. Bei der Erneuerung unseres Landes kommt es allerdings nicht auf staatliche Subventionen an, sondern auf private Investitionen. Für sie wollen wir uns um bessere Bedingungen kümmern.

Ihr enger Vertrauter Marco Buschmann fordert das Finanzministerium für Sie. Finden Sie das gut?

Lindner: Nein, er hat sich auf Nachfrage Ihrer Kollegen nur freundlich über meine Eignung geäußert. Wir sprechen noch gar nicht über Ressorts.

Olaf Scholz hat versprochen, dass in einer neuen Regierung genauso viele Männer wie Frauen mitarbeiten werden. Gilt das auch für die FDP?

Lindner: Herr Scholz bezog sich wohl auf die SPD, denn jede Partei regelt ihre Personalfragen selbst. Wir haben uns damit nicht beschäftigt.

Sind Sie mit Olaf Scholz inzwischen per Du?

Lindner: Nein. Ich glaube, Herr Scholz und ich gehen damit im professionellen Umfeld beide sparsam um.

Wie erklären Sie sich den Totalschaden bei der Union?

Lindner: Die Union sucht ihren Kompass. Auch die FDP ist schon einmal durch diesen Prozess gegangen. Ich hoffe aber nicht, dass nun restaurative Kräfte die Partei nach scharf rechts führen. Im Bund wird die FDP jedenfalls die Anliegen der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU im Blick behalten. Würden wir in eine Regierung eintreten, wäre es ja unsere Aufgabe, dort die bürgerliche Mitte insgesamt zu vertreten.

Grüne und FDP wollen Cannabis legalisieren. Wann rauchen Sie mit Jürgen Trittin einen Joint?

Lindner: Da bin ich persönlich raus. Uns geht es bei der kontrollierten Abgabe um Kriminal- und Gesundheitsprävention. Wer Cannabis konsumieren will, soll dies bei einer sicheren Stelle können statt bei einem Drogendealer auf dem Schwarzmarkt.