Die Gastronomie unter Auflagen öffnen
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Herr Lindner, glauben Sie, dass Deutschland die Verteilung des Corona-Impfstoffs falsch organisiert hat?
Lindner: Offensichtlich läuft es nicht so gut, wie es sollte. Die Bundesregierung muss darlegen, wie sie das Impfen beschleunigen will. Ich schlage einen Impfgipfel vor. Gemeinsam mit Gemeinden, pharmazeutischer Industrie und den niedergelassenen Arztpraxen sollte man beraten, wie die Mängel abgestellt werden. Beispielsweise ist zu hören, dass es in der EU zu Verzögerungen bei der Zulassung weiterer Impfstoffe kommt.
Halten Sie die gemeinsame europäische Beschaffung durch die EU für richtig?
Lindner: Im Prinzip schon, konkret sind Fragen zu klären. Mindestens hätte Deutschland parallel zur EU-Bestellung auf bilateralem Weg zusätzliche Impfdosen bestellen können. Das hätte Geld gekostet, aber es wäre gut angelegt gewesen, denn es geht um Gesundheit, die Reduzierung von wirtschaftlichem Schaden und Freiheitsrechte. Auch bei der Zulassung weiterer Impfstoffe halten wir ein zentrales, reguläres EU-Verfahren für richtig, weil so das Vertrauen der Bevölkerung gestärkt werden kann. Bei AstraZeneca sollte Deutschland sich aber übergangsweise eine Notfallzulassung vorbehalten. Und zwar dann, wenn nur bürokratische Hürden die Verzögerung verursachen und nicht medizinische Bedenken.
Es gibt nun eine Debatte darüber, ob Geimpfte im Vergleich zu nicht Geimpften Vorrechte erhalten sollten.
Lindner: Wer hier von Vorrechten spricht, kehrt unsere Verfassung um. Es handelt sich um Grundrechte. Deren Einschränkung ist gerechtfertigt, wenn es eine Gefährdung gibt. Sollte sich herausstellen, dass Geimpfte nicht ansteckend sind, entfällt die Rechtfertigung für Freiheitseingriffe. Am besten sorgen wir schnell für Impfschutz, so dass uns diese Debatte erspart bleibt.
Im Prinzip hielten Sie Vorrechte für Geimpfte also für angemessen?
Lindner: Mich besorgt der soziale Sprengstoff, der sich daraus auch angesichts der Knappheit des Impfstoffs ergibt. Aber das ist keine politische, sondern eine verfassungsrechtliche Frage. Wenn der Staat in die Grundrechte von Menschen eingreift, die kein Risiko mehr darstellen, würde das viele Gerichte beschäftigen. Deshalb plädieren wir ja für eine bessere Impfstrategie.
Wann kann es für die Bevölkerung eine Rückkehr zur Normalität geben?
Lindner: Normalität wird dauern. Aber wir können nicht in der Perspektivlosigkeit leben. Deshalb ist eine dauerhaft durchhaltbare Strategie nötig. Erstens werden Kontaktbeschränkungen erhalten bleiben. Auch Regeln wie die Maskenpflicht. Zweitens sollten wir auf beschleunigtes Impfen, besseren Schutz der Risikogruppen und die Ausweitung der Kapazität von Tests setzen. Drittens sollten wir dann von der flächendeckenden Stilllegung des Lebens hin zu regionalen Maßnahmen wechseln. Dort, wo es die Lage es erlaubt, kann man dann auch Gastronomie und Einzelhandel unter Auflagen öffnen. Dort, wo es weiter hohe Fallzahlen gibt, würde es länger dauern.
Sehr schwer zu glauben, dass das noch im Januar möglich sein soll.
Lindner: Der Zeitplan muss vom regionalen Infektionsgeschehen abhängig gemacht werden. Wenn in einer Gemeinde die Zahlen deutlich zurückgegangen sind, wird man die Frage stellen müssen, warum dort dieselben Einschränkungen gelten sollen wie in einem Hotspot. Diese Regionalisierungsstrategie begrenzt den sozialen und wirtschaftlichen Schaden. Wann genau der Zeitpunkt dafür da ist, entscheiden die Fallzahlen.
Was sind die Ziele der Liberalen für das Bundestagswahljahr?
Lindner: Wir bewerben uns um Regierungsverantwortung. Wir sind die Kraft, die für Freiheitsliebe, solide Finanzen, wirtschaftlichen Aufbruch und eine tolerante, offene Gesellschaft steht. Nach dem Ende der Ära Merkel wird neu über die Grundrichtung der Politik entschieden. Da wollen wir mit am Tisch sitzen.
Werden Sie vor der Wahl Ihre Koalitionspräferenz kundtun?
Lindner: Wir sind eigenständig und orientieren uns an Inhalten. Wir wollen den Trend wenden von immer mehr Einmischung des Staates hin zur Wiederherstellung individueller Freiräume, zu Entlastungen und weniger Schulden. Unser Land braucht einen Modernisierungsschub, in der Wirtschaft und der Gesellschaft. Daran würden wir gerne mitwirken.
Könnten Sie sich eine Regierung mit der SPD eines Olaf Scholz vorstellen?
Lindner: Es käme auch da auf Inhalte an. Aber im Zweifel würden sich SPD und Grüne in Berlin wohl eher für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei entscheiden. SPD und Grüne stehen der Linkspartei schließlich näher als der FDP oder der CDU. Man darf nicht vergessen, dass Winfried Kretschmann nicht repräsentativ für die Grünen im Bund ist. Dort will seine Partei ein bedingungsloses Grundeinkommen mit höheren Steuern für den Mittelstand einführen.
Manche in der CDU glauben, dass die FDP nicht mehr benötigt wird. Mit den Grünen ließe sich eine Regierung bilden, die auch besser mit dem Bundesrat zusammenarbeiten könnte.
Lindner: Richtig ist, dass Teile der aktuellen CDU-Führung Koalitionen unter machttaktischen Gesichtspunkten betrachten. Deshalb habe ich registriert, dass Armin Laschet und Friedrich Merz die Nähe zur FDP betont haben. Schwarz-Grün wäre ja so etwas wie eine neue große Koalition. Die Ergebnisse in Baden-Württemberg sind keine Empfehlung.
Welches ist Ihre Stuttgarter Dreikönigsbotschaft an die FDP im Jahr der Bundestagswahl?
Lindner: Wir müssen über die Pandemie hinausdenken. Wir stellen die Weichen für die 20er Jahre. Daran wollen wir mitwirken, damit wir Freiheit, Wohlstand und die offene Gesellschaft auch für die Generation der Enkel sichern.