Die Finanzlage dieses Staates ist vielen nicht klar.
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Herr Lindner, ist Olaf Scholz noch Ihr Kanzler?
Lindner: Ja.
Ihre Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, will sich im Wahlkampf gegen den Bundeskanzler positionieren, insbesondere in der Ukraine-Politik. Hat das Ihre Unterstützung?
Lindner: Unser Kernthema ist nicht der Bundeskanzler. Wir wollen eine EU als Freiheitsprojekt, aber Ursula von der Leyen macht daraus ein Bürokratieprojekt. Deshalb stoppen wir gerade ihre Lieferkettenrichtlinie, die unsere Wirtschaft belastet, ohne sozialen Fortschritt zu erzielen. Auch das Verbot des Verbrennungsmotors können wir zu Gunsten der Technologieoffenheit abwenden. Dass wir auch über Sicherheitsinteressen und die Unterstützung der Ukraine sprechen, ist klar.
Frau Strack-Zimmermann fordert ausdauernd die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus. Stehen Sie auf Ihrer Seite – oder auf der von Scholz, der das verweigert?
Lindner: Die Bundesregierung prüft fortwährend, was noch möglich ist. Dabei kommt der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers besondere Bedeutung zu.
Während Ihres Ukraine-Besuchs schienen Sie einer Taurus-Lieferung eher zuzuneigen.
Lindner: Ja, ich habe damals Offenheit signalisiert, aber auch auf die laufende Prüfung hingewiesen.
Das Arbeitsverhältnis zwischen Ihnen und Olaf Scholz soll durch den nächtelang ausgetragenen Haushaltsstreit nach dem Verfassungsgerichtsurteil gelitten haben. Wie würden Sie es beschreiben?
Lindner: Einfach war das alles nicht. Die intensiven, diskreten und teilweise auch kontroversen Gespräche haben das Arbeitsverhältnis zwischen Olaf Scholz, Robert Habeck und mir aber weiter vertieft.
Sie sehen Ihre Einschätzung zu Beginn der Koalition bestätigt, dass Scholz ein Mann mit „innerem Geländer“ sei?
Lindner: Es ist doch offensichtlich, dass Olaf Scholz klare politische Grundüberzeugungen hat. Es sind sozialdemokratische, weshalb wir viel zu besprechen hatten. Umso beachtlicher ist das Ergebnis. Durch den Haushalt 2024 sinken Schuldenquote und Steuerlast, aber es steigt die Investitionsquote. Wir halten die Schuldenbremse ein. Das ist ökonomisch vernünftig, da Deutschland wieder Zinsen für Staatsverschuldung zahlen muss. Viele orientieren sich ja an der schuldenfinanzierten Wirtschaftspolitik der USA. Würden wir es aber so machen wie die USA, dann müssten wir bald 20, 30 oder 40 Milliarden Euro mehr im Jahr an Zinsen zahlen. Geld, das dann für Digitalisierung oder Bildung fehlt. Es ist klüger, wenn wir Prioritäten im Rahmen der Finanzmittel setzen, die wir haben.
Das predigen Sie Ihren Koalitionspartnern seit zwei Jahren. In der Haushaltswoche aber forderten Vertreter der SPD erneut das Aussetzen der Schuldenbremse, und Robert Habeck schlug ein neues Sondervermögen für Unternehmen vor. Halten Sie es mit Ihrer FDP zwei weitere Jahre in der Ampel aus?
Lindner: Wir haben klare Verabredungen im Koalitionsvertrag. In nahezu jeder Haushaltsrede von SPD und Grünen wurden diese Woche aber entweder Steuererhöhungen oder mehr Schulden gefordert oder beides. Ich verstehe nicht, warum der Erfolg der gemeinsamen Haushaltspolitik so negiert wird. Für die Öffentlichkeit muss das irritierend sein. Wenn dennoch Lohn- und Einkommensteuer sowie die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe sinken und die Schuldenbremse steht, dann hebt das zwar die Rolle der FDP hervor. Besser wäre aber, wenn alle dieselbe Botschaft hätten.
Hat Habeck Sie vorab über seine Idee informiert?
Lindner: Nein, die Idee war in jeder Hinsicht überraschend. Der Wirtschaftsminister sagt damit ja, dass er mit der bestehenden Wirtschaftspolitik der Bundesregierung unzufrieden ist und er etwas komplett anderes für nötig hält. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang, aber ich möchte ihn konstruktiv aufnehmen. Auch ich halte eine Wirtschaftswende für nötig und bin deshalb bereit, das Diskussionsangebot von Robert Habeck anzunehmen. Allerdings bin ich vom konkreten Vorschlag nicht überzeugt, hunderte Milliarden Euro Schulden zu machen, um Subventionen auf Pump zu zahlen. So würden wir die Soziale Marktwirtschaft deformieren. Wir brauchen stattdessen ein Dynamisierungspaket, um private Investitionen, Gründergeist und Wettbewerbsfähigkeit zu entfesseln. Wir brauchen mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. Wir können ganz konkret Bürokratielasten reduzieren. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, das die planwirtschaftlichen Vorgaben überwindet. Die steuerlichen Anreize im Wachstumschancengesetz für Investitionen und Forschung sollten wir in Richtung einer Unternehmenssteuerreform ausdehnen. Und schließlich brauchen wir eine Energiepolitik, die sich vor allem auf Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise konzentriert. Ohne eine solche Wirtschaftswende sind alle sozialen und ökologischen Vorhaben nicht realisierbar.
Waren das bereits das Wahlkampfprogramm der FDP für die Bundestagswahl 2025?
Lindner: Nein. Das ist mein konkreter Gegenvorschlag an Robert Habeck. Wir sollten uns bis zum Sommer dieses Jahres verständigen. Denn wenn wir 2025 einen Aufschwung haben wollen, dann brauchen wir jetzt ein Maßnahmenpaket, das die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärkt.
Es sind häufig nicht die Entscheidungen an sich, die viele Bürger verstören. Es ist eher die Tatsache, dass sie erst verkündet und später mit Verweis auf zu viel Bürokratie oder verfassungsrechtliche Bedenken wieder kassiert werden, wie im Haushaltsstreit häufiger gesehen.
Lindner: Nein, das ist ein falsches Bild. Das in der politischen Debatte Vorschläge geprüft und verworfen werden, gehört zur Demokratie.
Erst sollten Landwirte künftig Kfz-Steuer zahlen. Als diese dann protestierten, rückte die Ampel mit Verweis auf den hohen bürokratischen Aufwand wieder davon ab. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Lindner: Die Einbeziehung von Sachverständigen verbessert Politik. Und von Praktikern hört man, wie sich Vorschläge im Alltag auswirken würden. Ich halte es für notwendig und geboten, dass Politik dafür offen bleibt und Korrekturen vornimmt, bevor falsche Entscheidungen getroffen werden. Das Bild der Koalition wird durch anderes belastet.
Und zwar?
Lindner: Ein Deutungsvakuum. Wir kommen in der Regel zu tragfähigen Ergebnissen. Wir sprachen ja beispielsweise über den Bundeshaushalt 2024. Während die FDP die Steuerentlastungen und die Schuldenbremse als Erfolge hervorhebt, sagen SPD und Grüne gleichzeitig: Könnten wir allein, würden wir es ganz anders machen. Dadurch entsteht ein Deutungsvakuum bei den Bürgerinnen und Bürgern und in der Wirtschaft, also der Eindruck: Diese Politik hat nur vorläufigen Charakter. Dieses Deutungsvakuum ist das Problem der Ampel. Nicht das, was im Gesetzblatt steht – sondern das, was jeden Tag in der Zeitung steht.
Aber es verunsichert auch, wenn in nächtelangen Sitzungen der Kanzler, der Vizekanzler, der Finanzminister zusammensitzen, danach etwas verkünden – um es kurz darauf wieder zu korrigieren.
Lindner: Sie erwecken den Eindruck, es wären Grundsatzentscheidungen über Bord geworfen worden. Tatsächlich ging es um technische Fragen. Wenn man sich da vom Rat von Praktikern und Experten nicht beeindrucken lassen will, macht man etwas falsch.
Welche Lehren ziehen Sie aus den vergangenen Monaten für die Haushaltsverhandlungen 2025?
Lindner: Die Finanzlage dieses Staates ist vielen nicht klar. Seit etwa 2013 haben sich die Möglichkeiten des Staats und die Anforderungen an den Staat auseinander entwickelt. Wir müssen das wieder in eine gesunde Balance bringen. Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft müssen gestärkt werden. Es ergibt schlicht keinen Sinn, mit nicht realistischen Forderungen in diese Haushaltsaufstellung einzusteigen. Es wird keine Steuererhöhungen geben, sondern wir werden an weiterer Entlastung arbeiten. Es wird auch nicht den politischen Notausgang höherer Schulden geben. Sondern wir müssen einfach mit dem Geld, das wir haben, auskommen – und durch Umschichtung Prioritäten setzen.
Wie groß ist die Lücke für 2025?
Lindner: Es handelt sich Stand jetzt um einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag.
Erwarten Sie, dass es härter wird als 2024, diese Lücke zu schließen und Einigkeit herzustellen?
Lindner: Die Haushaltsaufstellung für 2025 wird anstrengender als 2024. Auch deshalb, weil es bisher mehr um Umschichtung als um Sparen ging. Zu Subventionskürzungen etwa im Agrarbereich kam es ja nur, weil andererseits die Stromsteuer gesenkt werden sollte. Beim Haushalt 2025 dagegen geht es um echte Konsolidierung.
Wo sehen Sie das Potenzial für diese Einsparungen?
Lindner: Wir werden uns mit der Tatsache anfreunden müssen, unseren Sozialstaat treffsicherer zu machen. Wenn man das Wort Sozialstaat erwähnt, werden sofort Befürchtungen allenthalben und insbesondere bei Sozialdemokraten und Grünen geweckt. Aber es geht mir nicht darum, Menschen, die einen Schicksalsschlag hatten, die notwendige Unterstützung zu versagen oder generell das Solidaritätsprinzip unserer Gesellschaft zu kündigen. Die Absicht hat niemand. Aber die Frage muss doch erlaubt sein, ob nicht durch smarte Veränderungen an unseren Sozialsystemen gleichzeitig die Lebenschancen der Menschen verbessert und der öffentliche Haushalt entlastet werden können. Ganz konkret stellt sich doch die Frage: Wie kann es gelingen, mehr Menschen aus dem Bezug einer Sozialleistung heraus in die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu führen? Hier wünsche ich mir ein höheres Ambitionsniveau.
Der Oppositionsführer hat die SPD in dieser Woche im Bundestag die Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit genannt. Ein Vorwurf, den Sie nachvollziehen können aus eigener Anschauung?
Lindner: Das ist zu scharf, zu überzogen. Auch ich habe Kritik am Bürgergeldsystem, so wie es ist. Aber die muss man fachlich erörtern, denn hier sind auch falsche Erzählungen im Umlauf.
Zurück zum Haushalt 2025. Üblich ist, dass ein Finanzminister bereits im März Eckwerte vorlegt, damit jedes Ministerium weiß, mit wie viel Geld es rechnen kann. Diese Orientierung gab es im Vorjahr nicht, wird es sie in diesem Jahr wieder geben?
Lindner: Wir haben für 2025 bereits einen Finanzplan beschlossen. An ihm können sich alle orientieren.
Im Vorjahr übertrafen die Wünsche der Ministerien den damaligen Finanzplan zunächst um stattliche 70 Milliarden Euro. Mit welcher Zahl rechnen Sie in diesem Jahr?
Lindner: Alle sind realistisch. Deshalb gehe ich einmal von zusätzlichen Wünschen in Höhe von null Euro aus. Es gibt nichts zu verteilen.
Wann wird es das im Koalitionsvertrag versprochene Klimageld als Ausgleich für die steigenden CO2-Preise geben?
Lindner: Der dafür notwendige Auszahlungsmechanismus wird in dieser Legislaturperiode fertiggestellt. Das war und ist der Plan. Auszahlung waren allerdings immer für eine Zeit vorgesehen, in der der CO2-Preis deutlich steigt. Gegenwärtig liegt er aber genau dort, wo die CDU-geführte Vorgängerregierung ihn festgelegt hatte. Ich wünsche mir anderes, aber ich gehe als Realist davon aus, dass es erst in der nächsten Legislaturperiode eine Auszahlung gibt.
Auch die FDP-Fraktion drängt auf eine erste Auszahlung noch vor der nächsten Bundestagswahl.
Lindner: Die FDP-Bundestagsfraktion hat aber auch Vorschläge gemacht, auf welche Förderprojekte im Klima- und Transformationsfonds sie dafür verzichten würde. Darauf gibt es aber keine Verständigung in der Koalition.
Anderes Streitthema: Kindergeld. SPD und Grüne fordern eine Erhöhung auch in diesem Jahr.
Lindner: Auch hier gibt es eine Verabredung aus dem Jahr 2022. Wir haben das Kindergeld schon 2023 in einem Schritt rekordmäßig für alle Kinder auf 250 Euro erhöht. Das war ein Vorgriff. Ansonsten würde es dieses Jahr erst auf 244 Euro steigen. Der Kinderfreibetrag wird dagegen jetzt nur nachgezogen. Das ist verfassungsrechtlich nötig.
Und das Kindergeld bleibt bei 250 Euro?
Lindner: Das ist die alte Verabredung. Hier gibt es auch kein Gerechtigkeitsproblem. Es wird ja oft argumentiert, die Bezieher höherer Einkommen würden stärker vom Freibetrag profitieren. Dem liegt ein Missverständnis unseres Steuersystems zugrunde. Wenn jemand mit geringerem Einkommen seinem Kind für 100 Euro eine Jacke kaufen will, muss er 120 Euro verdienen und versteuern. Wenn eine Fachkraft ihrem Kind dieselbe Jacke kaufen will, muss sie 170 Euro verdienen und versteuern. Die starken Schultern werden in Deutschland bereits stark belastet.
Der Spielraum könnte mittelfristig durch eine Reform der Schuldenbremse ein wenig erhöht werden. Die sogenannten Wirtschaftsweisen schlagen zumindest kleinere Korrekturen vor. Lassen Sie darüber mit sich diskutieren?
Lindner: Wir haben eine Schuldenbremse, die sehr klug gebaut ist. In wirtschaftlich schwächeren Phasen darf der Bund mehr neue Schulden aufnehmen als in wirtschaftlich guten Zeiten. Ich habe die Sorge, dass Veränderungen an der Schuldenbremse rasch gleich ganz zu einem Dammbruch führen. Ich kann also nur davon abraten, die Büchse der Pandora zu öffnen.
Die Euro-Finanzminister hatten sich im Dezember auf neue Schuldenregeln für die Euro-Zone verständigt. Reicht die Zeit, um diese noch vor der Europawahl im Juni zu beschließen?
Lindner: Ich habe die Hoffnung, dass in den laufenden Gesprächen zwischen Kommission, Rat und Parlament der fein ausbalancierte Kompromiss hält. Mir war es in den Verhandlungen über die neuen Fiskalregeln wichtig, dass wir klare Vorgaben für sinkende Haushaltsdefizite und sinkende Schuldenquoten in der EU bekommen. Eine neue Staatsschuldenkrise muss ausgeschlossen bleiben. Das haben wir am Ende erreicht. Gerüchten zufolge ist es jetzt aber ausgerechnet die EVP bzw. die CDU, die in Brüssel auf laxere Regeln drängt. Das wäre eine schlechte Nachricht. Denn wenn der Charakter der Einigung über die Fiskalregeln verändert wird, geht möglicherweise auch die breite Unterstützung unter den 27 Mitgliedsstaaten verloren.