Die FDP ist die Partei der Jobsicherheit.
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Herr Lindner, ist die FDP wieder die Partei der Besserverdiener?
Lindner: Die FDP ist die Partei der Jobsicherheit. Wir haben eine sich zuspitzende Wirtschaftskrise. Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende Menschen müssen wieder Sorge haben um ihren Arbeitsplatz, weil unser Land nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Deshalb wollen wir den Grundfreibetrag bei der Lohnsteuer erhöhen, wovon auch die Bezieher sehr kleiner Einkommen profitieren. Wir müssen aber auch an den Solidaritätszuschlag ran, der inzwischen eine Strafsteuer auf Qualifikation und unternehmerisches Risiko geworden ist.
Ein Blick ins Wahlprogramm der FDP zeigt: Vor allem die oberen zehn Prozent der Steuerzahler profitieren von Ihren Plänen.
Lindner: Das sind diejenigen, die als selbstständige Handwerksmeister Ausbildungsplätze schaffen. Das sind diejenigen, die in großen Familienbetrieben Arbeitsplätze für Hunderte Menschen schaffen. Es sind diejenigen, die als Ingenieure Patente anmelden, wovon viele Facharbeiter profitieren. Wir brauchen für den Aufschwung in Deutschland wieder Leistungsbereitschaft, Innovationseifer und den Willen zum unternehmerischen Risiko. Sonst droht uns ein wirtschaftlicher Absturz.
Bei kleinen und mittleren Einkommen liegt die Belastung allerdings woanders – nämlich bei den Sozialabgaben. Da ist die FDP weniger konkret. Zufall?
Lindner: Wir sind im Bereich der Rentenpolitik sehr konkret. Wir wollen einen individuellen, flexiblen Renteneintritt ermöglichen. Auch vom Altersvorsorge-Depot – also staatlich gefördertem ETF- und Aktiensparen – profitieren gerade diejenigen, die sich sonst eine kapitalgedeckte Altersvorsorge nicht leisten könnten.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die Kosten all Ihrer Entlastungspläne auf rund 138 Milliarden Euro. Wie wollen Sie das finanzieren – mit der Kettensäge à la Javier Milei?
Lindner: Unser Programm zeigt, was möglich ist, wenn wir uns eine grundlegende Kurskorrektur zutrauen. Natürlich ist unser Steuerkonzept nicht dafür gedacht, in nur einem Jahr komplett umgesetzt zu sein. Das Sofortprogramm – dazu gehört etwa die Streichung des Solis und die Senkung der Körperschaftssteuer – habe ich noch als Bundesfinanzminister amtlich durchgerechnet und vorgelegt. Das ist ein kleinerer Betrag.
Trotzdem müssen Sie anderswo sparen, wenn Sie Ihre Pläne umsetzen wollen.
Lindner: Dazu gibt es Vorschläge. Ich will unseren Sozialstaat treffsicherer machen und mehr Menschen in Jobs bringen. Wir müssen Subventionen zurückfahren. Der Staat greift in zu vielen Bereichen in die Wirtschaft ein. Außerdem wollen wir den Staat mit seinen unzähligen Behörden und Vorschriften schlanker machen. Dann ist unser Steuerprogramm auch machbar. Und das ist dann noch nicht mal Milei.
Die FDP will auch die Mehrwertsteuer in der Gastronomie senken. Das haben Sie 2009 in der schwarz-gelben Koalition schon für Hotelübernachtungen durchgesetzt – und schlechte Erfahrungen gemacht. Warum jetzt wieder Klientelpolitik?
Lindner: Wenn die Klientel Familien sind, die sich durch die hohen Preise den Restaurantbesuch nicht mehr so häufig leisten können, dann gestehe ich, die Hürde für diese Menschen senken zu wollen. Übrigens: In 23 von 27 EU-Staaten gibt es diese Steuerermäßigung. Auch weil die Gastronomie eine beschäftigungsintensive Dienstleistung ist. In der Pandemie wurde die Mehrwertsteuer bereits gesenkt. Dies beizubehalten war aber in der damaligen Koalition leider nicht möglich.
Angenommen, Sie können wieder regieren: Macht die FDP die Einführung einer Aktienrente zur Koalitionsbedingung?
Lindner: Die Aktienrente, also das Altersvorsorge-Depot, ist für uns ein zentrales Vorhaben. Wir haben viel zu lange die Möglichkeiten des Kapitalmarktes ungenutzt gelassen. Die Menschen müssen aber auch neben der gesetzlichen Rente wirtschaftlich unabhängig sein.
Wie soll das gehen?
Lindner: Die Idee ist: Der Staat bezuschusst jeden angesparten Euro fürs eigene Depot – ob in ETFs, Einzelaktien oder Kryptowährungen – mit 20 Cent, bis zu einer Höchstgrenze von 5000 Euro. Innerhalb des Depots bleiben alle Erträge und Veräußerungsgewinne steuerfrei. Über Jahre und Jahrzehnte können Zins- und Zinseszins wirken. Erst in der Auszahlungsphase im Alter fallen – wie bei der Rente – Steuern an. So können Normalverdiener über Jahrzehnte mehrere Hunderttausend Euro ansparen.
Beim Klimaschutz treten Sie auf die Bremse. Sie wollen das Verbrenner-Aus rückgängig machen und rücken vom Ziel der deutschen Klimaneutralität bis 2045 ab. Ordnen Sie alles der Wirtschaft unter?
Lindner: Unsere Wirtschaft ist in schlechter Verfassung. Daher halte ich das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 für nicht mehr vertretbar. Wir wollen das deutsche Ziel durch das europäische – klimaneutral bis 2050 – ersetzen. Denn andernfalls sparen wir lediglich Emissionen ein, die unsere Nachbarn dann ausstoßen können. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Deutschland als größtes Industrieland der EU die Freiheit und den Lebensstandard der Menschen zugunsten des Klimaschutzes riskiert. Damit werden wir kein Vorbild sein. Schlimmer noch: Ich befürchte, dass dann die Akzeptanz für den Klimaschutz auch in Deutschland weicht.
Es kann doch keine Lösung sein, die Klimaziele alle paar Jahre nach hinten zu verschieben.
Lindner: Ich glaube nicht, dass Deutschland allein das Weltklima retten kann. Wir können nur einen Beitrag leisten, indem wir ein Vorbild sind. Länder wie China oder die afrikanischen Staaten brauchen Wachstum und Wohlstand. Wenn wir sie für einen Weg in Richtung Klimaneutralität gewinnen wollen, müssen wir ihnen einen Pfad aufzeigen, der wirtschaftlichen Fortschritt und Klimaschutz verbindet. Das geht nur durch Spitzentechnologie. Die Idee hinter unserem Klimaschutzprogramm: Mehr Freude am Erfinden als am Verbieten.
Friedrich Merz will zahlreiche Ampel-Projekte wieder einkassieren. Werden Sie in einer möglichen schwarz-gelben Koalition mithelfen, Ihre eigenen Gesetze abzuwickeln?
Lindner: Es kommt auf die Projekte an. Im Nachhinein sind einige nicht überzeugend, zum Beispiel das Heizungsgesetz. SPD-Bauministerin Klara Geywitz hat es vor einiger Zeit öffentlich kontraproduktiv genannt. Sie hat da völlig recht. Das geht viel schlanker und mit weniger Vorschriften. Wo war Frau Geywitz eigentlich die letzten Jahre während der Ampel-Zeit? Ich wäre dabei, das Gesetz zu korrigieren.
Was ist mit den gesellschaftsliberalen Gesetzen? Etwa dem Selbstbestimmungsgesetz oder der Cannabis-Teilfreigabe.
Lindner: Unser Land hat wahrlich andere Probleme. Das waren keine zentralen Freiheitsprojekte der letzten Jahre und es sind auch keine zentralen Probleme der nächsten Jahre, mit denen man sich beschäftigen sollte. Eine Rückabwicklung ist nicht erforderlich.
Wo sind Ihre roten Linien?
Lindner: Bei der Schuldenbremse. An ihr zu fummeln, birgt große Gefahren für die jüngere Generation. Alles, was wir an Schulden machen, wird an Zins gezahlt. Die Modernisierung von Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur sollten aber nicht allein die Jungen zahlen müssen. Das finde ich ungerecht. Außerdem bedrohen uferlose Schulden das Fundament unserer europäischen Währungsunion. Wir würden innerhalb weniger Jahre eine erneute Schuldenkrise riskieren.
Nach der letzten Koalition mit der Union ist die FDP aus dem Parlament geflogen. Woher kommt die Sehnsucht nach Schwarz-Gelb?
Lindner: Sehnsucht würde ich es nicht nennen. Es geht um die beste Konstellation für Deutschland. Nach der Großen Koalition und der Ampel halte ich es für keine gute Idee, mit Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün weiterzumachen. Das wäre nur eine Verwaltung des Status quo. Für eine Wirtschaftswende, Kontrolle der Migration und Modernisierung der Infrastruktur ist Schwarz-Gelb die beste Regierung für unser Land.
Sie gelten für viele als Verursacher des Ampel-Aus. Kann man Ihnen vertrauen?
Lindner: Ich bekenne mich zu dem, was Sie in der Frage angedeutet haben. Denn ich habe klar in dem von mir so genannten Herbst der Entscheidungen gesagt: Es braucht eine neue Politik oder neue Wahlen. Das war auch mein Angebot an den Kanzler. Ich hätte dem Land nicht ein weiteres Jahr dieser Ampel-Politik ohne Veränderungen zumuten können. Deshalb sehe ich das als Investition in die eigene Glaubwürdigkeit.
Haben Sie in den vergangenen Wochen keine Fehler gemacht?
Lindner: Doch, ganz sicher. Vor allem aber auch in den vergangenen Jahren.
Zum Beispiel?
Lindner: Dass ich nach dem Haushaltsurteil im November 2023 nicht die Wucht genutzt habe, um eine grundsätzliche Veränderung der Politik zu bewirken. Nachdem der Buchungstrick des Herrn Scholz für verfassungswidrig erklärt worden war, fehlten plötzlich 60 Milliarden Euro. Damit war die Geschäftsgrundlage der Ampel entfallen, denn Grüne und SPD hatten unseren Koalitionsbedingungen nur zugestimmt, weil sie dachten, auf dieses Geld zugreifen zu können. So war alles ins Trudeln geraten. Ich werfe mir heute vor, seinerzeit zu freundlich, harmoniebedürftig, kooperativ gewesen zu sein.
Sie sind der FDP-Vorsitzende mit der längsten Amtszeit. Wollen Sie nächstes Jahr weitermachen – egal, wie die Bundestagswahl ausgeht?
Lindner: Auch wenn Sie mich als Methusalem darstellen: Ich bin doch erst 45 Jahre alt. Deshalb habe ich auch vor, meine politische Arbeit fortzusetzen. Aber jetzt schauen wir erstmal auf die Bundestagswahl