Deutschland muss für Pioniere attraktiv sein
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In Deutschland werden jetzt zwei Wissenschaftler gefeiert. Ihr Biotech-Impfstoff gilt schon als Alleskönner. Wissenschaftler als Heilsbringer – verändert das unser Land?
Lindner: Die Geschichte sollte uns inspirieren. Zwei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte durchlaufen erfolgreich unser Bildungssystem. Sie werden als Paar Spitzenforscher, gründen ein Unternehmen, schaffen Arbeitsplätze und entwickeln mit Gentechnik eine für die Menschheit segensreiche Innovation. Das ist eine großartige Erfolgsgeschichte. Sie ist nicht repräsentativ für unser Land. Aber sie zeigt, wie unser Land werden könnte.
OK – bleiben wir also einen Moment bei der Inspiration. Wie sähe Deutschland als Biotech-Land aus?
Lindner: Die Lehren wären erstens mehr Forschungsfreiheit und Technologieoffenheit. Die Gentechnik wollten manche vor zwanzig Jahren zurückdrängen. Das ist bis heute so. Auch bei bestimmten CO2-Speichermethoden oder den Verbrennungsmotor gibt es solche Gedanken. Zweitens mehr Gründergeist mit besseren Bedingungen für privates Risikokapital. Wenn wir zukunftssichere Arbeitsplätze wollen, dann muss Deutschland für Pioniere attraktiv sein. Stattdessen gibt es Bürokratismus und Neid. Drittens mehr Chancen für Frauen in Spitzenpositionen, indem wir Rollenbilder durchbrechen, auch Mädchen schon früher für technische Fragen interessieren und die Vereinbarkeit von Karriere und Beruf verbessern. Viertens ein modernes Einwanderungsrecht für Menschen, die sich etwas aufbauen und beitragen wollen. Und fünftens ein neues Bildungssystem, das alle Talente zum Strahlen bringt und nicht länger den Erfolg so stark abhängig von der familiären Herkunft macht. Dazu werden wir nicht nur mehr investieren müssen. Ich bin überzeugt, dass es zwischen den Bundesländern mehr Kooperation und mehr Gemeinsamkeit geben muss.
Bei der Gentechnik hatte ich lange das Gefühl, der Zug ist aus Deutschland abgefahren. Deutsche Unternehmen wie BASF haben ja schon in den USA Asyl gesucht und gefunden. Kann Deutschland überhaupt noch Gentechnik? Und denken die meisten dabei nicht nur an Monsanto?
Lindner: Auf den ausgetretenen Pfaden aufzuholen, wird schwer. Aber es gibt ja immer wieder neue technologische Pfade, wo andere weniger Vorsprung haben. Im Bereich mRNA-Impfstoffe haben wir jetzt so ein Beispiel. Neben Biontech gibt es auch CureVac bei uns. Für solche Technologiesprünge brauchen wir Offenheit bei uns. Der amerikanische Soziologe Richard Florida sagte, dass Technologie, Talent und Toleranz zusammen kommen müssen für Innovation. In meinen Worten eine Kultur der Freiheit, in der kluge Köpfe Zugang zu Kapital haben, dass sie in ihre Ideen investieren können.
Die Bundesregierung weist gern darauf hin, dass bei Biontech der Staat mit Geld eine Rolle gespielt hat, ebenso wie bei Curevac. Andererseits: Hat nicht privates Kapital bei beiden die entscheidende Rolle gespielt – und was lässt sich daraus lernen?
Lindner: Gegen staatliche Forschungsförderung spricht nichts, im Gegenteil kann man diese über das Steuerrecht weiter vereinfachen, so dass auch der Mittelstand stärker profitiert. Die direkte Kapitalbeteiligung durch Peter Altmaier bei CureVac überzeugt mich dagegen nicht. Die Finanzierung sollte schon in privater Hand bleiben. Hier haben wir ein doppeltes Problem in Deutschland. Erstens ist es sehr schwierig, große Summen zu mobilisieren. Die Wachstumsphase von Unternehmen und langwierige Vorhanden wie im Bio-Bereich sind kapitalintensiv. Hier müssen wir die vom Staat vorgegebenen Rahmenbedingungen so ändern, dass die Billionen Euro privaten Kapitals im Finanzsektor nicht überproportional in Immobilien und Staatsanleihen angelegt werden müssen. Und zweitens laufen während der langen Entwicklungsphasen mit hohen Risiken im Bio-Bereich enorme Verluste an. Diese müssen später gegen Gewinne bei der Steuer natürlich verrechnet werden, damit das attraktiv ist. Im deutschen Steuerrecht verfallen diese Verluste aber bei einem Wechsel der Anteilseigner. Das klingt wie ein bürokratisches Detail, ist aber ein enormes Wachstumshemmnis.
Sie haben einen Fonds für Gentechnik vorgeschlagen. Wie soll der funktionieren und was erhoffen sie sich davon?
Lindner: Die Bundesregierung sollte einen Dachfonds einrichten, der nicht direkt in Unternehmen investiert, sondern nur mit privaten Fonds und Anlagegesellschaften. Diese können dann die öffentlichen Mittel investieren, wenn sie auch eigenes Kapital dazu einbringen. So bleibt die private unternehmerische Kompetenz und Risikoabwägung erhalten, zugleich werden aber mehr private Mittel mobilisiert. Das Ziel ist, eine Brücke zwischen der Nachfrage nach Risikokapital einerseits und den vorhandenen Sparvermögen der Deutschen andererseits zu bauen. Der Fonds sollte alle Bemühungen bündeln und die Bereiche der roten, grünen und weißen Gentechnologie gleichermaßen adressieren.
Helfen Sie doch bitte mal unserer Phantasie auf die Sprünge – wie könnte sich unser Leben durch Gentechnik verbessern?
Lindner: Das kann man noch gar nicht wissen. Individuelle Therapien in der Medizin angepasst auf die eigene DNA werden erforscht. Veränderte Züchtungsmethoden für Pflanzen können Sorten an den Klimawandel anpassen, um die Welternährung zu sichern. Über biologisch abbaubare Waschsubstanzen, Biomasse statt Plastik und verbessere Biokraftstoffe wird in der Industrie gesprochen. Das Ziel ist also Umweltschutz und Schonung von Ressourcen. Das alles passiert – die Frage ist, ob auch bei uns. Bei der Digitalisierung haben wir schon viel verpasst, beim nächsten Megatrend Biologisierung sollten wir das nicht wiederholen.
Die so genannte Genschere hat dieses Jahr den Nobelpreis bekommen. Welche Hoffnung, vielleicht sogar konkrete Aussicht verbinden Sie damit? Werden wir Krankheiten besiegen können?
Lindner: Mit diesem Verfahren können in der Biomedizin Veränderungen an einer festgelegten Stelle der DNA präzise herbeigeführt werden. Ein Team in Israel hat Hirn- und Eierstockkrebszellen bei Mäusen damit unschädlich gemacht. Die Überlebensrate stieg um 80 Prozent. Das könnte Chemotherapien beim Menschen durch eine Therapie ohne Nebenwirkungen ersetzen. In der grünen Gentechnik können auch Allergene in Pflanzen reduziert werden. Die geltende europäische Gentechnikgesetzgebung ist allerdings veraltet. Diese neue, schonende Methode wird nicht berücksichtigt. Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene für eine technologieoffene Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts einsetzen.
Der Biontech-Erfolg ist Triumph von Forschern, die sich zu äußerst erfolgreichen Unternehmern entwickelt haben. Sie sind jetzt sehr reich. Wird es in der Einwanderungsdebatte etwas verändern, dass Frau Türeci und Herr Sahin einen türkischen Migrationshintergrund haben?
Lindner: Das wünsche ich mir. Der Erfolg von beiden zeigt, dass unsere Gesellschaft von gesteuerter Einwanderung profitieren kann. Ich betone, gesteuert und nicht unkontrolliert. Wir sind für die besten Köpfe allerdings nicht attraktiv. Andere Länder laufen uns den Rang ab. Unser Einwanderungsrecht ist bürokratisch. Das könnten wir nach Vorbild Kanada erweitern. Die Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit mit der Einbürgerung ist eine weitere Hürde, die man auf die Enkelgeneration verschieben sollte. Also Doppelpass bei Einbürgerung, dafür nicht auf Dauer. Und Steuern und Abgaben machen es den Menschen bei uns unnötig schwer, sich etwas aufzubauen. Hinzukommt, dass wir leider den Alltagsrassismus nicht überwunden haben. Viele mit fremd klingendem Nachnahmen werden nicht einmal zum Vorstellungsgespräch gebeten. Da müssen wir an uns arbeiten.
Letzte Frage, Herr Lindner: Die beiden Biotech-Eigentümer dürften jetzt Milliardäre sein. Es sieht aber so aus, als ob sie sich aus Reichtum nichts machen würden. Sahin fährt ein altes Mountainbike. Kann so etwas in einer Gesellschaft, die von Neidreflexen nicht frei ist, stilbildend wirken?
Lindner: Mich beeindruckt das. Aber das muss eine freie Entscheidung bleiben. Ohnehin sind es oft nur Klischees von Villen, Yachten und Juwelen, die über Vermögende im Umlauf sind. Es handelt sich ja überwiegend um Betriebsvermögen. Und die wirklich sehr vermögenden Familien, die ich kenne, legen großen Wert auf Diskretion und Zurückhaltung.