Brauchen intelligenteres Krisenmanagement
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Ist der Appell der Kanzlerin in ihrem Podcast, wenn möglich zu Hause zu bleiben, eine überfällige Warnung oder Alarmismus?
Lindner: Die Dramatik der Warnung hat mich überrascht. Denn sie passt nicht zu Äußerungen von Experten wie dem Chef der Kassenärzte. Ich halte es für richtig, dass wir an die Selbstverantwortung erinnern, Masken zu tragen und Abstand zu halten. Es ist auch nicht die Zeit für Massenveranstaltungen ohne Hygiene-Konzept oder Besäufnisse in der Party-Szene. Ein genereller Appell, auf gesellschaftliches Leben und menschliche Begegnungen zu verzichten, ist aber unnötig, wenn man sich an die Regeln hält. Hygiene, Abstand, Mund- und Nasenschutz, Lüften und die Nutzung der Corona-App – das ist jetzt erste Bürgerpflicht. Öffentliches und wirtschaftliches Leben können und müssen weiter stattfinden. Wir brauchen ein intelligenteres Krisenmanagement als im Frühjahr.
Bayerns Ministerpräsident Söder warnt bereits vor Kontrollverlust.
Lindner: Wir müssen doch die Zeit nutzen, um uns vorzubereiten, damit solche Befürchtungen über den Winter nicht eintreten. Dazu gehören die bessere Aufstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die Verfügbarkeit von Testes und besondere Schutzkonzepte für Alten- und Pflegeheime. Ich möchte aber nicht erneut erleben, dass ältere Menschen in Einrichtungen vereinsamen, weil sie keinen Kontakt zur Familie haben. Mich überzeugt zudem die alleinige Orientierung an der Zahl der Neuinfektionen zudem nicht mehr. Die Art des Krankheitsverlaufs und die Frage, wer sich infiziert, sind genauso wichtig. Es ist ein Unterschied, ob sich vermehrt ältere Menschen anstecken, oder ob junge Männer in Ballungsgebieten betroffen sind.
Die Kritik an einem Flickenteppich an Corona-Regeln wächst. Gehen die Maßnahmen zu weit?
Lindner: Bei jeder Entscheidung muss man fragen, welcher Gewinn an Sicherheit überhaupt mit der Einschränkung von Freiheit verbunden ist. Innerdeutsche Reisebeschränkungen und das Beherbergungsverbot bringen kaum etwas. Von Geschäftsreisen und dem Familienurlaub geht keine Gefahr aus, wenn man sich an die Regeln hält. Man kann niemandem erklären, warum eine Familie nicht nach Rügen reisen konnte, aber nach Rhodos. Die Gerichte heben diese Übertreibung nun auf, aber mit rechtswidrigen Maßnahmen gefährdet man die Akzeptanz der Corona-Bekämpfung. Wenn Frau Merkel vage von drohendem Unheil spricht, dann fordere ich umgehend eine Regierungserklärung vor dem Bundestag. Es kann nicht sein, dass das Parlament nur über den wöchentlichen Podcast von Frau Merkel und Pressekonferenzen über die Corona-Maßnahmen informiert wird. Der Bundestag wird nicht beteiligt, obwohl es sich hier um drastische Einschnitte in unsere Grundrechte und Freiheiten handelt. Die Regierung muss begründen, welche Maßnahmen sie ergreift und sie muss darlegen, dass diese überhaupt wirksam sind.