Ein neues Denken
Chinesische Kommentatoren haben vor einiger Zeit die Verbindung von Kapitalismus und Demokratie in Zweifel gezogen: Im Westen würde die Politik immer neue Wohlfahrtsversprechen geben, um vor Wahlen Stimmen gleichsam zu kaufen, die danach am Kapitalmarkt über Schulden finanziert werden müssten. Dadurch hätten sich die Staaten des Westens in die Abhängigkeit der Finanzmärkte begeben. So inakzeptabel die in China praktizierte Trennung von Kapitalismus und Demokratie auch ist, so ist die Beobachtung dennoch nicht falsch. Das zeigt die steigende Staatsverschuldung.
Dabei hat sich längst ein Mentalitätswandel vollzogen. Immer mehr Menschen fordern die Politik auf, endlich die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Sie spüren, dass Wohlstand auf Pump ökonomisch riskant ist: Die Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben nachgewiesen, dass spätestens ab einer Schuldenquote von 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das Wachstum ausgebremst wird. Deutschland liegt bei rund 80 Prozent. In dieser Lage wären steigende Zinsen ein Brandbeschleuniger. Auch ethisch ist diese Politik nicht länger vertretbar: Immer weniger Kinder erben immer höhere Schulden. Das legt kommende Generationen in finanzpolitische Ketten. Vom drohenden Handlungsverlust des Staates würden insbesondere sozial Schwache betroffen sein.
Nötig ist ein neues Denken:
1. Die Politik muss sich selbst an Regeln binden.
In Europa wird mit dem Fiskalvertag eine Stabilitätsunion begründet. Die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone verpflichten sich, Schuldenbremsen in ihre nationalen Verfassungen aufzunehmen. Das ist ein Erfolg deutscher Außen- und Europapolitik. DeutschlandsGlaubwürdigkeit und die tatsächliche Durchsetzung einer Stabilitätspolitik in Europa werden aber beschädigt, wenn sich etwa das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen weigert, eine entsprechende Selbstbindung in der Landesverfassung zu verankern.
2. Solange die Haushalte nicht ausgeglichen sind, muss die Entschuldung des Staates Vorrang haben vor neuen Staatsaufgaben – und auch vor an sich wünschenswerten Steuerentlastungen.
Peer Steinbrück hat in diesem Zusammenhang dieser Tage sogar offensiv Steuererhöhungen gefordert, um die Haushalte zu sanieren. Hannelore Kraft setzt in Nordrhein-Westfalen auf eine „vorsorgende Sozialpolitik“, die sie mit Schulden finanziert. In der Praxis kommt dann allerdings beides zusammen: höhere Steuern und höhere Schulden. Trotz wachsender Steuereinnahmen und trotz erhöhter Landessteuern hat Nordrhein-Westfalen zusätzlich Rekordschulden aufgenommen – zum Beispiel für über 2.000 neue Stellen im Öffentlichen Dienst, viele davon in der Umweltbürokratie. Statt fortlaufender Rufe nach Steuererhöhungen ist also vielmehr eine Debatte über die Reichweite von Staatstätigkeit nötig: Der öffentliche Sektor darf nicht schneller wachsen, als die Bürgerinnen und Bürger Wohlstand erwirtschaften können. Die Politik muss sich mit den heute verfügbaren Mitteln bescheiden – und in der Konsequenz den Aufgabenbestand des Staates prüfen und seine Aufgabenerfüllung effizienter machen. Der Abbau von Bürokratie entlastet den Staat und Private schließlich gleichermaßen.
3. Wachstumskräfte müssen aktiviert werden, damit der Staat aus seinen Schulden herauswachsen kann.
Wieder das Beispiel Nordrhein-Westfalen: In Datteln wird vom grünen Umweltminister politisch die Inbetriebnahme eines der klimafreundlichsten Steinkohlenkraftwerke der Welt behindert. Ergebnis: Statt durch eine rentablePrivatinvestition auch die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen, werden Abschreibungen und damit Steuerausfälle produziert. Und die schmutzigen Kraftwerke andernorts laufen weiter. Solche Blockaden müssen gelöst werden.
Die Grenzen der Handlungsfähigkeit des Staates im Blick zu behalten, ist ein liberales Traditionsthema – es hat für die FDP neue Aktualität. Wir haben in unseren „Wiesbadener Grundsätzen“ bereits 1997 die heute im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse des Grundgesetzes vorgedacht. Nun kann aus der Idee der Schuldenbremse die Vision der Schuldenfreiheit werden. Es muss ein Ziel sein, durch eine wachsende Wirtschaft und einen bescheidenen Staat daseigentlich verpflichtende Maastricht Kriterium einer Schuldenquote von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder zu erreichen. Das ist keine Utopie: Bayern beginnt unter Mitverantwortung der FDP bereits mit der Tilgung von Altschulden. Zukunft kann besser mit gesparten Zinsen finanziert werden als mit neuen Schulden. Das ist das neue Denken.