Der 22. September war ein Schock für uns: Die FDP gehört dem Deutschen Bundestag für vier Jahre nicht an. Schon in der Woche vor der Bundestagswahl hatte man das Gefühl, dass die Liberalen aus der Spur waren. "FDP wählen, damit Merkel Kanzlerin bleibt" – das war zu wenig für eine Partei, die für Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit steht. Zwar hatte die FDP zur guten Regierungsbilanz beigetragen, dennoch waren viele vor allem von unserem Auftreten enttäuscht. Also haben die Bürgerinnen und Bürger der FDP einen Neuanfang verordnet – und dem stellen wir uns.

Das starke Wahlergebnis für die Union und die knapp unter fünf Prozent für die Liberalen – das war kein Auftrag, die Grundrichtung der Politik zu verändern. Im Gegenteil: Im September haben Millionen Bürgerinnen und Bürger ihre Stimmen dafür abgegeben, dass Deutschland weiter auf Kurs bleibt. Trotzdem gibt es jetzt einen Richtungswechsel. Die Union hat sich nahezu kampflos von der bürgerlichen Politik der letzten Jahre verabschiedet. So haben CDU und CSU zwar die Bundestagswahl gewonnen, die SPD aber die Koalitionsverhandlungen.

Die neue Regierung hat die Chance verdient, ihre Prioritäten zu setzen. Dennoch bin ich in Sorge, dass Deutschlands Stärke leichtfertig verspielt wird. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD gibt die falschen Antworten auf die drängenden Gegenwartsfragen. Mit mehr als zwei Billionen Euro steht der Staat in der Kreide. Diese Schulden machen den Staat von den Banken abhängig. Die Generationen unserer Kinder und Enkel droht an der Zinslast zu ersticken, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Die Große Koalition aber will nochmals 23 Milliarden Euro mehr ausgeben. Als Konsequenz muss die für 2015 geplante Tilgung von Altschulden abgesagt werden – das ist Gefälligkeitspolitik auf Pump statt solider Finanzen. Deutschland hat Frankreich und seinen Präsidenten Francois Hollande dafür kritisiert, dass er das Rentenalter reduziert hat. Jetzt unterstützt Angela Merkel die „Rente mit 63“. Wissenschaftler haben errechnet, dass zukünftige Generationen allein durch die Beschlüsse zur Rentenpolitik mit 852 Milliarden Euro belastet werden: Das ist siebenmal mehr als der deutsche Anteil am Euro-Rettungsschirm. „Zukunft gestalten“ steht auf dem Koalitionsvertrag – „Zukunft verbrauchen“ ist drin.

Auch in anderen Fragen werden die Weichen falsch gestellt: Die Beschäftigten haben endlich einen fairen Anteil am Aufschwung verdient – stattdessen kassiert die Große Koalition weiter den Löwenanteil der Lohnsteigerungen und erhöht noch die Sozialbeiträge. Trotz NSA-Enthüllungen kommt die Speicherung aller unserer Kommunikationsdaten auf Vorrat – das ist das Misstrauensvotum des Staates an seine Bürger. Es gibt nicht mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik, sondern neue Subventionen für Kohlekraftwerke. Zeitungen im Ausland schreiben: Große Koalition ist „große Stagnation“.

Im Parlament sitzen nur noch vier Fraktionen. Die Große Koalition und die linksgrüne Opposition. Noch im September wollten viele die FDP endgültig abschreiben. Alle anderen Parteien hielten sich plötzlich für "irgendwie auch liberal". Heute sieht man: Schafft Schwarz-Rot neue Bürokratie für Bürger und Betriebe, wird die linksgrüne Opposition kritisieren, dass diese Fesseln noch nicht eng genug sind. Eine grundlegende andere Haltung fehlt. Für die stehen wir: Denn zuerst haben doch die Bürgerinnen und Bürger mit Freiheit und Eigenverantwortung eine Chance verdient, bevor man nach dem Staat ruft. Deshalb sind wir Liberalen für die Soziale Marktwirtschaft, den Rechtsstaat und eine tolerante Gesellschaft. Und damit sind wir die eigentliche Opposition – seit September zeitweise außerhalb des Parlaments.