Nach Corona neu für Selbstverantwortung werben

CL

Wir haben generell eine Tendenz, dass momentan der schützende Staat in der Verkörperung des strengen Landesvaters populär ist. Es wird zwar gemeinhin gesagt, es müsste dann doch eine Gegenbewegung hinsichtlich starker Freiheitsbeschränkungen geben. Aber das beobachte ich in der Bevölkerung momentan nur verhalten. Für das Vertrauen auf Selbstverantwortung und private Initiative werden wir nach Corona neu werben müssen.

Sie sprechen da aus eigener Erfahrung?

Lindner: Wir setzen uns ja stets dafür ein, dass der Staat mit seinen Zugriffen verhältnismäßig handelt. Bürgerrechte müssen geachtet werden. Nicht die Freiheit muss gerechtfertigt werden, sondern die staatliche Einschränkung der Freiheit. Solche Positionen finden momentan nicht den Applaus des Tages. In der Sache folgt Deutschland allerdings einer Strategie, wie sie die nordrhein-westfälische Landesregierung und die FDP schon vor längerer Zeit angeregt haben. Das heißt: statt rigider bundesweiter Einschränkungen einen flexibleren Ansatz mit einer Orientierung auf das regionale Infektionsgeschehen. Dazu kommen Hygiene- und Abstandsregeln im Alltag, die von allen geachtet werden müssen, und digitale Möglichkeiten, die Infektionsketten nachzuverfolgen. So kann man den Gesundheitsschutz beachten, zugleich aber mehr Freiheit erhalten und die sozialen Folgen der Pandemiebekämpfung reduzieren.

Welche Verantwortung tragen gerade Unternehmen der Fleischindustrie?

Lindner: Unabhängig vom Fall geben die Strukturen in der Fleischindustrie Anlass zur Sorge. Es gibt nur wenige große Betriebe, was nie gut ist. Es fehlen die kleinen und mittleren Spieler am Markt. Ich habe aber Zweifel, ob ein Verbot von Werkverträgen das Problem löst. Bei Saisonarbeitskräften sind sie ein bewährtes Instrument, um Flexibilität zu erreichen. Eines ist aber klar geworden: Wenn Saisonarbeitskräfte in den Betrieb kommen, kann der Arbeitsschutz nicht allein auf die Arbeitsstätte begrenzt sein. Auch beim Transport der Menschen und in ihren Unterkünften muss Arbeitsschutz gelten. Man hört, dass die schwarzen Schafe der Branche den Mindestlohn auch dadurch unterlaufen, dass sie überhöhte Kosten für die Unterkunft berechnen. Das kann man nicht hinnehmen.

Ein anderes Thema: Die Union steuert auf 40 Prozent zu, die FDP liegt bei um die 5 Prozent…

Lindner: Das Versprechen, dass der Staat uns alle schützt und auffängt, ist populär. Und das war immer ein Markenkern der Unionsparteien. Es wird nach dem Staat gerufen, um die Menschen vor Corona zu schützen. Es wird der Staat gerufen, um die Wirtschaft zu retten. Obwohl es momentan nicht populär ist, müssen wir als Liberale dennoch die Frage nach der Rolle des Einzelnen und seiner Verantwortung stellen. Wir sehen die Grenzen der staatlichen Möglichkeiten, denn die ganzen Schulden müssen ja irgendwann bezahlt werden. Die Politik war auch nie der bessere Unternehmer, um Zukunftstechnologien zu entwickeln, die Arbeitsplätze schaffen. Die starke Fixierung auf den Staat darf nicht in einer Überforderung und Enttäuschung enden.

Also würden Sie die Unternehmen jetzt pleite gehen lassen, Stichwort eigenes Risiko?

Lindner: Es gibt Risiken, die so groß sind, dass sie die Möglichkeiten individueller Verantwortungsübernahme überschreiten. Deshalb ist das staatliche Eingreifen in einer solchen Ausnahmesituation auch absolut gerechtfertigt. Ein Sicherheitsnetz für Arbeitsplätze und Betriebe ist richtig. Aber es kommt auf Maßnahmen an, mit denen wir unser Land besser machen, als es vor Corona war. Die befristete Senkung der Mehrwertsteuer ist sehr teuer, aber nicht zielsicher. Besser hätte man für kleine und mittlere Einkommen die Lohn- und Einkommensteuer auf Dauer reduziert. Das hätte auch Kaufzuversicht gestärkt. Die Verluste dieses Jahres sollten die Betriebe zudem bei der Steuer mit den Gewinnen vergangener Jahre und des nächsten Jahres verrechnen können. Das würde auch Zahlungsunfähigkeit verhindern.

Das gesamte Interview könnt Ihr hier nachlesen. 

Alle Initiativen der FDP-Fraktion zur Bewältigung der Corona-Krise findet Ihr hier.